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Editorial

Angriff von den Rändern

Editorial - Angriff von den Rändern
© Illustration: Jessine Hein/Illustratoren

Johann Michael Möller01.05.2017

Populismus ist zum politischen Schreckgespenst ganz Europas ­geworden und für Frankreich gilt das allemal. Die aktuellen Präsidentschaftswahlen erscheinen wie ein Stresstest für unsere liberale Demokratie. Wir wollen in diesem Heft nicht über den Wahlausgang spekulieren. In den Niederlanden hat am Ende die politische Mitte obsiegt. Aber schon jetzt wird deutlich, wie sehr der Populismus die politische Landschaft verändert – nicht nur in Frankreich. Auf den Rechtspopulismus von Marine Le Pen antwortet dort mittlerweile ein Linkspopulist wie Jean-Luc Mélenchon, was die Schwierigkeiten zeigt, diesen Politikstil noch eindeutig zu verorten.

Der rechte Populismus lasse sich nur mit einem linken Populismus bekämpfen, sagt Chantal Mouffe, die große alte Dame der europäischen Politikwissenschaft. Was dazu führt, dass Populismus zu einem „infla­tionär gebrauchten politischen Kampfbegriff“ geworden ist (Oskar Niedermeyer), der seine analytische Bedeutung längst verloren hat.

Die populistische Grundbehauptung ist gleichwohl immer dieselbe: Das einfache Volk begehre auf gegen eine selbstherrliche Politikerkaste, die das Schicksal der Abgehängten und Vergessenen ignoriert. Die da unten wehren sich also gegen die da oben, und die fremdenfeindlichen, nationalistischen, ja sogar rassistischen Töne sind dabei unüberhörbar. Marine Le Pen ruft in diesen Tagen zum nationalen Aufstand auf, um Frankreich seine Grenzen und seine Unversehrtheit zurückzugeben.

In Deutschland wird der Populismus deshalb vor allem als Versuch am rechten Rand gesehen, Ressentiments aufzuheizen und daraus politisches Kapital zu schlagen. In unseren Nachbarländern aber hält man den Populismus auch für eine legitime Form der demokratischen Aus­einander­setzung, für ein neues Verlangen nach politischer Partizipation und eine Chance zur demokratischen Öffnung. Dass es dabei um die ­Abstiegsängste der unteren Mittelschichten genauso geht wie um die Sorge vor dem Verlust der kulturellen Identität, darin sind sich viele ­Beobachter einig. Der Prozess der Globalisierung hat Gewinner geschaffen, aber auch viele Verlierer.

Die Beiträge in der Titelstrecke dieses Heftes zeigen die Komplexität und Unterschiedlichkeit der Debatte. Sie gehen den Ursachen und Aus­lösern für populistische Parteien nach und stellen sich der Frage nach der Krise der repräsentativen Demokratie. Wird die Politik der postmodernen Gesellschaften künftig von ihren Rändern her bestimmt, wie viele Beobachter fürchten, oder kommt es doch zu einem Wiedererstarken der politischen Mitte? Antworten finden Sie ab Seite 32.

Es grüßt Sie herzlichst Ihr

Johann Michael Möller
Herausgeber