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Was ist ein König? Das alteuropäische Monarchieverständnis und die Bedürfnisse des modernen Volksheims

Die Macht und der schöne Schein

Eberhard Straub27.04.2011

Das Volk schaute mit Freuden die junge Dame, und auf so vielen lächelnden Gesichtern zeigte sich das entschiedene Behagen zu sehen, dass die erste Frau im Lande auch die schönste und anmutigste sei.“ So schilderte Goethe 1827 in seiner „Novelle“ die allgemeine Wirkung einer jungen Fürstin. Anmut setzte freilich um liebenswürdig zu sein, noch Adel voraus. Er bestätigte, darin geübt zu sein, auf eine feierliche Grazie bei gewöhnlichen Dingen zu achten und eine Art von leichtsinniger Zierlichkeit bei ernsthaften und wichtigen Anlässen zu wahren. Vortreffliche Eigenschaften konnten jeden König und seine Königin nicht davor schützen, lächerlich zu werden, mangelt es ihnen an „représentation“, an der Begabung zum glänzenden Auftritt und zur großen Allüre. Deshalb heirateten Fürsten und Könige untereinander, deren Familien gleichsam eine Familie bildeten.

Repräsentanten des alten Europa

Auf Liebe kam es bei diesen Ehen nicht an. Private Gefühle konnten nur stören bei Heiraten, deren Zweck nicht das Glück oder die Launen zweier Verliebter waren, sondern öffentlichen Aufgaben. Es war schon viel erreicht, wenn sich die Gatten allmählich anfreundeten und Freude daran fanden, möglichst von allen als ein elegantes Paar gewürdigt zu werden, das mit festlich-feierlichem Stil die Würde ihres Amtes herzbezwingend veranschaulichten. Zur vornehmen Lebensart gehörte eine gewisse Gleichförmigkeit der Sitten. Eleganz lässt sich nicht national bestimmen, selbst wenn zu Zeiten abwechselnd Spanier, Italiener und Franzosen den Stil oder nur die Moden prägten. Monarchen verkörperten einen übernationalen, europäischen Geschmack, eben alteuropäische Höflichkeit, wollten sie nicht als schlecht erzogen auffallen. Das erleichterte es Prinzen und Prinzessinnen, sich mühelos in fremde Länder, in die sie einheirateten, einzugewöhnen. Ihre Familien machten Europa aus und sie verknüpften unmittelbar ersichtlich die jeweiligen Völker und Nationen mit dem sie alle umfassenden Europa. Mitten im Vereinigten Europa löst sich diese europäische Großfamilie auf, die auf eindringliche Weise an den Zusammenhang der Teile mit dem Ganzen, an Europa und die gemeinsame Geschichte und Kultur erinnerten. Natürlich treffen sich bei den Hochzeitsfeiern um Prinz William und Kate Middelton jetzt im April oder um Prinz Georg Friedrich von Preußen mit der Prinzessin Sophie von Isenburg im August die Angehörigen der großen Dynastien. Aber das vermag nicht darüber hinwegzutäuschen, dass die ehemals Verwandten einander vorzugsweise aus historischen Reminiszenzen begegnen, weil ihre Familien vor indessen langer Zeit einmal einem sehr übersichtlichen Verein angehörten, der sich durch Exklusivität auszeichnete. Diesen Vorrang geben die Herrscherhäuser mittlerweile auf. Sie verschwägern sich noch nicht einmal mit der Aristokratie ihres Landes; sie schlagen umstandslos den Weg in die Welt der Besserverdienenden ein, die heute das Bürgertum ersetzen. Die Monarchen wollen sich entaristokratisieren, tatsächlich „Volk“ werden, zum „Volk“ gehören. Doch Volk ist eine romantische Konstruktion aus dem frühen 19. Jahrhundert. Es gibt keine Völker mehr, nur noch Verbraucher, die auf dem ständig bewegten Markt der Möglichkeiten tauschen und plauschen. Könige und ihre Königskinder bemühen sich energisch darum, im Supermarkt und Fitnessstudio, deren Regeln und Gewohnheiten sich das gesamte öffentliche Leben angleicht, nicht aufzufallen. Das behagt den Insassen des Volksheims, zu dem jeder Staat als Wohngemeinschaft werden soll, in der jeder mit jedem in Berührung kommt. Königliche Familien – „Royals“ genannt – verstehen sich aber auch als Firma, die einen Markenartikel produzieren, nach dem sehnsüchtig verlangt wird und deren Nachfrage nur sie zu stillen vermögen: exklusive Schönheit im romantischen Design, das vom Dauernden und nicht Aktuellen kündet, und sich in großen historischen Kostümen zu erkennen gibt.

Royals dürfen nicht nur wie alle am Strand liegen und ein Butterbrot aus der Frischhaltebox holen, wenn ihnen danach verlangt, sie müssen zuweilen das ganz andere vorstellen: in Uniformen schlüpfen und große Abendkleider, sich mit Ordenssternen und Diademen schmücken, um in Kirchen lieberfüllte Eintracht mit Gott und in Palästen das Glück übereinstimmender Gemüter vor laufenden Kameras zu bestätigen. Je mehr eine verbindliche Vorstellung vom guten Geschmack und einer cortesia christiana, einer von christlichen Tugenden bestimmten schönen Höflichkeit schwindet, desto lauter wird der Wunsch nach einer der Zeit entrückten Anmut, Poesie und Großartigkeit, die für Augenblicke den Markt verzaubert und seine Wirklichkeit mit dessen Zwängen vergessen lässt. Das können keine Bundes- oder Staatspräsidenten, biedere Nachbarn von nebenan. Das können nur königliche Mitbewohner in der nationalen WG. Sie sollen gleich wie alle sein auf einem Straßenfest nach gewonnenem Fußballspiel. Sie dürfen aber nur problemlos „abproleten“, sofern sie am anderen Tag das ganz Andere zeigen, das Entrückte, das Unterschiedene, das Besondere, die Monarchie als Kostümstück, als die Kunst, die Repräsentation zu repräsentieren. Insofern sind Könige und Königskinder herausgehoben und verschieden.

Monarchen in bürgerlicher Gesellschaft

Die eklatante Ungleichheit verliert ihren herausfordernden Charakter, wenn ein Fitnesstrainer Prinzgemahl und eine Fernsehjournalistin Kronprinzessin und irgendwann Königin werden kann. Jeder kann zum Star im Romantikprogramm aufsteigen, wenn er nur Glück hat. Darum gibt es nur noch Traum- und Märchenhochzeiten, die mit öffentlichen Zungenkuss auf dem Schlossbalkon allen enttäuschten Eheleuten versichern, dem holden, hohen Paar sei geschenkt oder geglückt, was in den Niederungen des Alltags und der prosaischen Alltäglichkeit scheitern muss. Eine Gesellschaft der Aufsteiger und dauernder Konkurrenz poetisiert ihr ehernes Gehäuse des Leistungszwanges mit Rückgriffen auf die alte Welt, aus der die Monarchie stammt und gegen die sich alle wehrten, die deren Überwindung seit 1789 forderten. Die Monarchie, bis 1918 die europäische Norm, hatte Revolutionen und gesellschaftliche Veränderungen erstaunlich gut überstanden. Die Könige wurden nach und nach um ihre Macht gebracht, bis sie nur noch herrschten und nicht mehr regierten. Den Machtverlust kompensierten alle durch die neue Macht des schönen Scheins. Die Monarchie wandelte sich von einer juristischen, auch durch die Kirche geweihten Institution, in eine rein ästhetische. Im 19. Jahrhundert wurde sie zur großen, historischen Oper mit Schaugepränge, unter dessen Suggestion die Tradition, der liebe Gott, die gute Ordnung und gar nicht ungute Lust auf Wechsel einander prächtig und unverbindlich ergänzten.

Unersetzliches Schau-Spiel

Nichts ist so schwierig wie ein moderner Monarch zu sein, weil die Monarchie zur alten Welt gehört, gegen die sich seit 1789 der Protest richtete. Nichts ist so einfach, wie ein moderner Monarch zu sein: Er muss für Schmuck und Zierrat am ehernen Gehäuse sorgen, das die Einwohner der Moderne zusammenzwingt. Die Monarchen im 19. Jahrhundert begannen mit der ästhetischen Rechtfertigung der Monarchie als Spektakel, als Schaustück, sinnlos, aber sinnlich packend. Sie trivialisierten damit eine vorrevolutionäre Überzeugung, dass das Volk anschaulicher, nicht begrifflicher Wahrheiten bedürfe. Von Wahrheiten war nicht weiter die Rede, wohl aber von Dekoration und Kulissen. Der Altar wurde zu einem entzückenden Möbel neben dem Thron, vor dem sich Royals in wunderbaren Gewändern ihr Ja-Wort für heut‘ und alle Ewigkeit geben. Auch entschiedene Säkularisten wischen sich eine Träne der Rührung aus den Augen. Der Altar stört so wenig wie der Thron – beides sind Erinnerungsorte für eine beliebige Gefälligkeit. In der Schauburg, wie früher manche Kinopaläste hießen, rückte jeder den Entrückten sehr nahe. Es geht nur um Show, um Inszenierung und Gesehenwerden. Monarchen haben das längst begriffen und bleiben auch im 21. Jahrhundert als große Schau-Spieler unersetzlich. Aufrechte Aristokraten halten diese Überlebenstechnik für unwürdig. Sie bleiben unter sich. Aber die Monarchen misstrauten immer dem Adel und sind auf den Bildschirmen allgegenwärtig. Sie sind Überlebenskünstler, gerade weil sie keine Aristokraten mehr sind, sondern zur Unterhaltung den „Aristo“ und „Royal“ spielen, wie Andere andere Rollen im demokratischen Unterhaltungsbetrieb ausfüllen.

Könige sind unersetzlich, nur sie können sich richtig spielen und nur sie können ihren Gespielinnen beibringen, eine Königin der Herzen zu werden. Der Erfolg ist der Ruhm des kleinen Mannes. Royals müssen medial erfolgreich sein, also zu kleinen Leuten werden. Das sichert auch ihre politische Position.

Eberhard Straub
Dr. Eberhard Straub ist Historiker und Publizist. Zu seinen Büchern gehören unter anderem „Kaiser Wilhelm II. in der Politik seiner Zeit. Die Erfindung des Reiches aus dem Geist der Moderne“ (2008, Landt Verlag) und „Der Wiener Kongress. Das große Fest und die Neuordnung Europas“ (Klett-Cotta 2014). Zuletzt erschien „Das Drama der Stadt: Die Krise der urbanen Lebensformen“ (Nicolai Verlag, 2015). eberhard-straub.de