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Die königliche Hof- und Garnisonkirche zu Potsdam

Ein Stück Seele des alten Preußen

Uwe Andreas Ulrich16.04.2015

Das schönste und größte Museum für Kunst und Geschichte …“ war die Residenzstadt Potsdam für den Kunsthistoriker Paul Ortwin Rave. Wer die Photographien von Martin Hürlimann und Max Baur aus den 1920er und 30er Jahren betrachtet, bekommt auch heute noch eine Vorstellung davon. In Potsdam und seinen Vororten vereinten sich Straßenzüge, Turmvillen, Schlösser, Stadtkanal, Parks und Kirchen – umgeben und durchzogen von der seenartigen Havel – in seltener Harmonie. Weltberühmt war der „Dreikirchenblick“ mit der Heiliggeistkirche im Osten, der Nikolaikirche im Zentrum und der Garnisonkirche im Westen. Die Havellandschaft und die darin eingebettete, gebaute Kultur wirkten schon auf Zeitgenossen wie ein vollkommenes Bild, ein Gesamtkunstwerk, und mit dem Begriff des preußischen Arkadiens versuchten sie es auszudrücken.

Der 14. April 1944 wurde zum Harmagedon für Potsdam. Schätzungen gehen davon aus, dass über 95 Prozent der Innenstadt beschädigt waren, und für einen großen Teil bedeutete es die Vernichtung. Unter den Ruinen befanden sich das Stadtschloss und die Königliche Hof- und Garnisonkirche. Beide Gebäude waren selbst in diesem Zustand noch imposante steinerne Zeugen und hätten prinzipiell – zumindest in der äußeren Form – wieder aufgebaut werden können. Doch die neuen Machthaber wollten es anders und vollendeten die Zerstörung 1959 (Schloss) und 1968 (Garnisonkirche) durch Sprengung.

Wahrzeichen der Stadt

Das Viertel zwischen Schloss, Marstall, Garnisonkirche, Plantage und Neuem Markt war das Herz des alten Potsdam – die Garnisonkirche die Seele. Für viele Einwohner – alte wie neue – war und ist Potsdam ohne diese Bezugspunkte nicht denkbar. Durch erfolgreiches Bürgerengagement ist die historische Fassade des Stadtschlosses unter Einschluss erhalten gebliebener Originalfragmente inzwischen wieder aufgebaut worden, und wahrscheinlich hält eine Mehrheit der Potsdamer diesen neuen Sitz des Brandenburgischen Landtags für gelungen und wichtig für das Stadtbild. Der Wiederaufbau der Garnisonkirche dagegen steht bisher unter keinem guten Stern. Um kaum ein anderes Thema wird in den lokalen Medien so unerbittlich gestritten wie um dieses „Symbol des Jüngstgeborenen im alten Europa, des Militärstaates Preußen“ (Fontane).

Die Garnisonkirche – gebaut von dem Architekten Philipp Gerlach – war die bedeutendste Barockkirche Potsdams und vielleicht Norddeutschlands. Sie beherbergte eine Militär- und eine Zivilgemeinde und war als Hofkirche eng mit den preußischen Hohenzollern verbunden. In weniger als zwei Jahren Bauzeit wurde sie auf Geheiß des Königs Friedrich Wilhelm I. von 1730 bis 1732 errichtet und der knapp 90 Meter hohe Turm drei Jahre später vollendet (man stellt unwillkürlich den Vergleich mit heutigen größeren Bauprojekten an). Der König wachte persönlich über den Bau und wurde auf seinen Wunsch in der ebenerdigen Gruft beigesetzt (wie auch später sein Sohn Friedrich II.). 1747 soll Johann Sebastian Bach während seines Potsdam-Besuches auf der Wagner-Orgel der Garnisonkirche gespielt haben. Berühmter als die Orgel aber war das Glockenspiel, dessen Stundenlieder „Lobe den Herren“ und „Üb‘ immer Treu und Redlichkeit“ über 150 Jahre die Hintergrundmusik der Stadt waren. Neben diesem mechanischen Spiel gab es als Besonderheit eine Handklaviatur, für die im Prinzip jedes Stück gesetzt werden konnte. Von 1810 bis 1945 wirkten nur drei Glockenisten an der Kirche, die während ihrer beeindruckend langen Amtszeiten zu Potsdamer Institutionen wurden. Der letzte Glockenist Professor Otto Becker (Amtszeit 1910 bis 1945) verschmolz geradezu mit der Garnisonkirche, und durch sein Wirken – seine Musik – auch mit den Potsdamern.

In der Nacht vom 3. auf den 4. November 1805 weilten Zar Alexander I., König Friedrich Wilhelm III. und Königin Luise in der Gruft an den Königssärgen. In etwas exaltierter Weise – so die Überlieferung – hat Alexander hier den Freundschaftsbund zwischen Russland und Preußen beschworen. Gleichwohl stand kein Jahr später am 24. Oktober 1806 der Bezwinger Preußens, Napoleon, in der Gruft. „Sic transit gloria mundi“ soll er an Friedrich des Großen Sarkophag gesagt haben.

Für die Garnisonpfarrer standen Gottesdienste für Offiziere und Mannschaften im Mittelpunkt ihrer Tätigkeit. Vor dem Auszug der Truppen 1864 (Dänemark), 1866 (Königgrätz) und 1870/71 (Frankreich) waren die Gottesdienste große Ereignisse in Anwesenheit des König und der Prinzen. Fahnenweihen und Dankgottesdienste nach den Kriegen feierten die preußischen bzw. deutschen Waffensiege. Dergleichen gehörte in die Zeit und war kein preußisches oder deutsches Spezifikum. Preußisch war aber z.B. die Mahnung des Königs, in der Predigt den ehemaligen Kriegsgegner nicht zu verletzen (mehrfach verbürgt durch Bernhard Rogge, Hof- und Garnisonprediger 1862–1906).

Der Tag von Potsdam

Durch besondere Umstände und Zufälle – und nicht durch Planung von langer Nazi-Hand – wurde die Garnisonkirche der Ort für die Eröffnung des Reichstages am 21. März 1933; ein Reichstag, den es nach seiner eigentlichen Bestimmung schon nicht mehr gab. Hindenburg und der sich tief vor ihm verneigende Hitler vor der Garnisonkirche: Symbol für die vermeintliche und vom Regime medial geschickt präsentierte Versöhnung des neuen, nationalsozialistischen Deutschlands mit dem alten Preußen. Das Bild dieser Szene ist sicherlich mehr Menschen präsent als das der Garnisonkirche selbst, die in der aktuellen Debatte vor allem für diesen „Tag von Potsdam“ in Haftung genommen wird – für eine fatale und in der nationalen Katastrophe resultierenden geschichtlichen Entwicklung; die Potsdamer Garnisonkirche als „Unort“ wie das Nürnberger Reichsparteitagsgelände. Hat sie wegen dieser wenigen Stunden am „Tag von Potsdam“ ihre potentielle Wiedererrichtung verwirkt – weil man eben eine „Nazikirche“ nicht wieder aufbauen darf? Allein dieser Begriff ist so abwertend wie falsch, denn die braune Bewegung gefiel sich vom ersten Tage an in ihrem primitiven antichristlichen Affekt.

Diskussion um den Wiederaufbau

Es mag nachvollziehbare Argumente gegen einen Wiederaufbau der Kirche geben: die zu veranschlagende Summe, die bisher durch Spenden nicht erreicht ist; die Sorge, dass letztlich doch noch Steuergelder für den Aufbau verwendet werden; die als belastend empfundene Geschichte des Gebäudes; Fragen um das Nutzungskonzept; die Aufforderung, das Geld lieber für soziale Projekte in der Stadt (z. B. Kitas etc.) einzusetzen; die Befürchtung, dass ein Wallfahrtsort für „Ewiggestrige“ entstehen könnte; die behauptete Sinnlosigkeit, eine weitere und auch noch sehr große Kirche in einem entchristlichten Umfeld zu bauen, wo doch die Kirchen ohnehin leer sind und dazu viele noch dringend auf Renovierung bzw. Bewahrung vor dem Verfall warten. Es sind auch nicht nur nicht-christliche oder sogar antichristliche Gegner, die sich die genannten Argumente in dieser oder jener Kombination zu eigen machen, sondern es sind ausdrücklich auch „Christen, die keine Garnisonkirche brauchen“, wie wiederholt zu lesen war. Alle diese Beweggründe sollen natürlich Berücksichtigung finden.

Die eigene Geschichte in politisch korrekter Weise dadurch zu diffamieren, dass man sie an der Gegenwart ausrichtet (so wie in der heutigen Selbstwahrnehmung sehr viele – hätten sie in den Jahren der Nazidiktatur gelebt – im Widerstand gewesen wären), scheint weder klug noch legitim. Waffenstolz und Nationalismus haben wir Deutsche in der großen Mehrheit aus gut nachvollziehbaren historischen Gründen aus dem Leben verbannt. (In fast allen Ländern dieser Erde ist das gleichwohl nicht so, wie uns spätestens ein aktueller Blick nach Osteuropa lehrt.) Geht es um die Generationen vor uns, trieft Deutschland allenthalben vor Selbstgefällig- und Selbstgerechtigkeit. Glauben wir ernsthaft, die tugendhafteren, moralisch überlegenen, kurz: die besseren Menschen zu sein? Unsere Geschichte kann doch unmöglich erst 1945, besser 1949 beginnen. Davor war die gesamte kulturelle und politische Geschichte im deutschsprachigen Raum eine einzige Fehlentwicklung, die es auszumerzen und abzulehnen gilt, weil sie von Anfang an und unausweichlich auf Hitlers Reich zulief? Der ehemalige estnische Ministerpräsident Lennart Meri brachte es auf diese Formel: „Deutschland ist eine Art Canossa-Republik geworden, eine Republik der Reue ... Man kann einem Volk nicht trauen, das sich rund um die Uhr in intellektueller Selbstverachtung übt“.

1945 standen in Deutschland Politiker, Städteplaner und Architekten vor der fast unlösbaren Aufgabe, aber auch der Chance, die durch den Krieg zerstörten Innenstädte wieder aufzubauen, wobei die Voraussetzungen, der Zeit geschuldet, schwierig, in Westdeutschland jedoch günstiger als im Osten waren. In keiner Stadt hielt dabei die „neue Architektur“ der beiden Staaten des nun geteilten Vaterlands dem Vergleich mit der Vorkriegszeit stand. Oft stehen wir fassungslos vor seelenlosen Innenstädten ohne jeden Charakter. Was dabei in und mit Potsdam geschah, war ein trauriger Höhepunkt dieser Entwicklung. Hoffentlich werden noch viele darin übereinstimmen, dass es keine gute Alternative dazu gibt, einige der für die Identität Potsdams unabdingbaren Bauten zurückzugewinnen; die Garnisonkirche ist nach der festen Überzeugung des Autors in diesem Kanon enthalten. Das hat nichts mit einem gelegentlich herbeigeredeten „preußischen Disneyland“ zu tun, das manche glauben verhindern zu müssen. Die Potsdamer Innenstadt – „Landschaft als geformtes Kunstwerk“ (Rudolf Borchardt) – war genauso einmalig und durch nichts zu ersetzen wie z.B. Mozarts Kompositionen. Um Mozarts Musik hören zu wollen, muss man sie notengetreu erklingen lassen.

Die Garnisonkirche kann und wird nicht gegen den Willen einer Majorität der Potsdamer wiederaufgebaut werden, wenn die Gegner dieses Vorhabens denn in der Überzahl wären. Auf einem solchen Tun läge kein Segen. Für den Wiederaufbau wird man neben Gottvertrauen insofern wohl auch einen langen Atem benötigen. Am Ende des Tages aber, wenn alles dazu gesagt ist, steht hoffentlich die Einsicht, dass Potsdam ohne diese Kirche nicht Potsdam ist.


Der Stand des Wiederaufbaus
Bauherr des Wiederaufbaus und späterer Träger ist die 2008 gegründete Stiftung Garnison­kirche Potsdam. Die Baugenehmigung wurde 2013 erteilt, derzeit arbeiten die Stiftung und die Fördergesellschaft für den Wiederaufbau der Garnisonkirche Potsdam e.V. (FWG) an den Bauplanungen, um möglichst bald beginnen zu können. Die Finanzierung des Wiederaufbaus soll überwiegend durch private Spenden erfolgen. Bisher konnte etwas mehr als die Hälfte des Geldes für den Wiederaufbau des Turmes eingeworben werden. Voraussichtlich noch in diesem April soll in Potsdam ein Bürgerdialog zum Für und Wider des Wiederaufbaus der Garnisonkirche starten. Weitere Informationen, Spenden- und Mitwirkungsmöglichkeiten unter:
www.garnisonkirche-potsdam.de
www.unterstuetzen.garnisonkirche.de