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Kulinarischer Genuss in Frankreich

Feine Küche in einer großartigen Landschaft

Das "La Chassagnette" im Süden Frankreichs bietet den unmittelbaren Geschmack von Naturprodukten aus eigenem Anbau

Jürgen Dollase01.07.2016

Saint-Rémy-de-Provence in den südfranzösischen Alpilles ist ein wunderbarer Ort in einer spektakulären Umgebung und vor allem in einer kulinarisch sehr bemerkenswerten Region. Hier lohnt sich an jeder Ecke ein Halt, bei Wein und Olivenöl und Tapenaden, oft mit großartigen Ausblicken und immer mit einer besonderen Identität von Landschaft, ihren Produkten und „Savoir Vivre“. Obwohl ich hier über einen ganz speziellen Ort schreiben werde, möchte ich vorher noch einen Abstecher empfehlen, nämlich zum Château d’Estoublon außerhalb von Fontvieille, und die sortenreinen Olivenöle und die exzellente „Tapéade noire du Vigneron“ empfehlen.

Riesige Gemüsegärten
Wenn man die Alpilles Richtung Arles verlässt, wird die Landschaft schnell prosaischer, und wenn man nicht wüsste, dass sich die Kargheit hinter Arles zur Camargue verdichtet, könnte man das Ein oder Andere glatt übersehen. Nehmen Sie also die Straße in Richtung Salin-de-Giraud, und wundern Sie sich nicht, wenn Sie erst einmal ein paar Kilometer lang darauf warten, was denn da eigentlich kommen soll. Während Sie vielleicht noch nachdenken, wird im Weiler Le Sambuc auf der rechten Seite eines der vielen Hinweisschilder mit dem Namen „La Chassagnette“ auftauchen, ein Restaurant von enormer Ausstrahlung und Bedeutung, ein großer Ort für die moderne Bio- und regionale Küche. Die ehemalige Bergerie kommt wenig pompös daher und wirkt mit den Außensitzplätzen unter Strohmatten eher traditionell. Dann aber werden Sie entdecken, welch riesige Gemüsegärten zum Hof gehören. Vielleicht haben Sie schon einmal irgendwo in einem guten Restaurant den Kräutergarten des Hauses besichtigt und ein paar Beete vorgefunden.

Dies hier ist angelegt, um quasi autark kochen zu können, ausschließlich nach der Saison und weitgehend mit dem, was der Garten hergibt. Das hat dazu geführt, dass es im „La Chassagnette“ genau so viel Gärtner wie Köche gibt, und es hat zu einer stilistischen Schärfung geführt, die man wohl nur hier findet. Ist Bio-Küche nicht allzu oft eine „normale“ Küche mit Bio-Produkten, aber ohne eine eigene Ästhetik, wie sie sich ergeben würde, wenn man nicht nur technologisch denkt, sondern will, dass Bio-Küche auch anders schmeckt? Das Restaurant hat mit Armand Arnal einen Sternekoch als Chef, nachdem der erste Chassagnette-Koch, Jean-Luc Rabanel, ins nahe Arles abgewandert ist und dort mit seinem „Atelier“ berühmt wurde (bis hin zum „Koch des Jahres“ im französischen Gault-Millau). Arnal setzt die Linie fort und ist heute sogar der konsequentere Koch. Hier schmeckt es anders. Stellen Sie sich darauf ein, und auch darauf, in einem modern inspirierten Landgasthof zu sein, nicht in einem Gourmettempel. Das Auge isst mit, sagt man, aber hier isst auch mit, wo man ist, hier wirkt der ländliche Charakter in einem entspannten Zusammenspiel mit einer Art purifizierten Modernität in der Innenausstattung. Auch rustikalen Einrichtungskitsch oder provencalischen Shabby-Chic werden Sie hier vergeblich suchen.

Kräuter, Salate, Spargel und Fisch
Das Essen beginnt so, dass von Anfang an keine Missverständnisse aufkommen. Vielleicht mit einer Galette von getrocknetem Camargue-Reis mit Schinken und einer mit Gemüse angereicherten Tomatencreme. Es erscheint eine Suppe von wilden und „kultivierten“ Kräutern, „bitter“ genannt, weil eben nicht alle essbaren Pflanzen so offensichtliche Aromen wie Thymian oder Rosmarin haben. Es schmeckt vegetabil, irgendwie gesund, irgendwie anders, ohne jedes Klischee und bald schon so, dass man mehr davon will. Dann die Rotbarbe, die mitten im Garten gelandet zu sein scheint, mit wilder Rauke und seltenen Salatsorten. Man schmeckt Produkte, die nicht durch aufwändige Zubereitungen aromatisch „gebrochen“ sind. Die Unmittelbarkeit des Geschmacks hat etwas Bezwingendes, und man staunt, wie gut Produkte in dieser Direktheit - vielleicht mit ein wenig Vinaigrette oder Öl – zusammengehen. Die Rotbarbe mit Rukola und Ingwer und Borretsch-Blüten, Tintenfischstreifen mit Rote Bete und Koriander und einem getrockneten Kohlblatt, der Spargel mit wilder Kresse, einem Stück Wolfsbarsch und einer Art lokal verwurzelten Bouillabaisse – also mit viel Kräutern gemacht. Der Garten ist immer im Blick und immer auf dem Teller, man isst die Gegend, man ist in der Gegend, sieht die schwarzen Kampfstiere auf der Weide und es ist wundervoll. Von hier gesehen – was kann man Besseres sagen – sieht die Welt anders aus. Und – man ist geneigt, die Inspiration mitzunehmen, weiterzutragen und bei sich zu Hause zu realisieren.


La Chassagnette
Route de Sambuc,
13200 Arles, Frankreich
Tel.: +33-490972696

Jürgen Dollase
Jürgen Dollase ist Restaurantkritiker und schreibt vorwiegend für die FAZ und FAS sowie auch für „Feinschmecker“ und „Port Culinaire“. Zu seinen Büchern gehören u.a. „Himmel und Erde. In der Küche eines Restaurantkritikers“, (AT Verlag 2014) und "Pur, präzise, sinnlich: Ganzheitlicher Genuss - die Zukunft des Essens",  (AT-Verlag, 2017). www.juergen-dollase.de

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