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Diskussion um CoL-Beschlüsse

Mutiger Aufbruch

Diskussion um CoL-Beschlüsse - Mutiger Aufbruch
Wolfgang Kramer (RC Pforzheim-Schlossberg) ist Governor des Distrikts 1830 im Jahr 2015/16. Er war Chefarzt mehrerer Krankenhäuser und ist zudem Landesarzt im DRK-Landesverband Baden-Württemberg. © Sasan Saidi

Die rotarische Idee ist in ihrem Kern nach wie vor attraktiv und kraftvoll, wenn wir sie den Erfordernissen der Zeit anpassen. Die CoL-Beschlüsse bieten einen größeren Spielraum

Wolfgang Kramer01.06.2016

Der Aufschrei zu den Beschlüssen des Council on Legislation (CoL) war vorauszusehen. Mancher Rotarier mit klassischer Herrenmentalität fürchtet um den Verlust des rotarischen Upper-Class-Status. „Wir müssen jetzt über den Status quo hinausdenken“, sagte dazu RI-Vizepräsident Greg E. Podd. „Wir müssen an die Zukunft denken.“ Die Präsenzanforderung wird relativiert. Die Aufnahmekriterien zielen künftig auf Integritäts-, Einsatz- und Führungsqualitäten und weniger auf Positionsmerkmale ab. Und Rotaracter können künftig Mitglieder von Rotary Clubs werden, während sie noch Rotaract angehören.

In zahlreichen klassischen Rotary-Ländern ist ein Mitgliederschwund zu verzeichnen. In Deutschland besteht noch ein geringer Zuwachs bei einer allerdings zunehmenden (Über-)Alterung der Clubs. Es mag noch immer „High Society-Clubs“ geben, bei denen Kandidaten Schlange stehen. Die Mehrzahl ist es offensichtlich nicht. Viele Clubs werden als eher eigenwillige und zunehmend als wenig Attraktive, unverständliche elitäre Gemeinschaften empfunden. Und das Mirakel der Präsenzvorgabe wird schon längst ausgehöhlt. Viele Clubs sind froh, wenn ihre berufstätigen Mitglieder noch eine Durchschnittspräsenz von 50 Prozent erreichen.

Moderne Berufsentwicklungen mit hoher Flexibilität und die schleichende Änderung der gesellschaftlichen Werteskala bewirken vor allem für berufstätige Mitglieder häufig grundlegend veränderte Voraussetzungen ihrer Mitgliedschaft. Vor 20 Jahren erfuhr man für sich noch das erhabene Gefühl, ein Auserwählter zu sein. Heute muss man fünf Leute fragen, wenn man einen gewinnen will.Weniger als drei Prozent der Rotarier sind jünger als 40. Nur 8,3 Prozent der Mitglieder sind Frauen. Das läßt die Frage stellen: Wer wollen wir künftig sein? Ein erlesener Kreis, der sich für Außenstehende als Relikt einer vergangenen Ständegesellschaft abschottet?

Für die Praxis vieler Clubs vollzog sich schleichend eine Änderung des gesellschaftlichen Umfelds, die nicht billigem Zeitgeist angelastet werden kann. Sie wird durch die aktuellen CoL-Beschlüsse nicht hervorgerufen, sondern lediglich nachvollzogen. Sie gestatten den Clubs größeren individuellen Spielraum. Sie sind eine Kann- und keine Mussvorschrift. Rotary braucht neue und jüngere Mitglieder, will es seine Zukunft sichern.

Die rotarische Idee ist in ihrem Kern nach wie vor attraktiv und kraftvoll, sofern man sie in die Erfordernisse der Zeit einpasst. Nur wer neue Wege geht, wird neues Land sehen! Letztendlich war es kein geringerer als Paul Harris selbst, der 1917 postulierte: „If Rotary hopes to advance it aims, it must be evolutionary and sometimes revolutionary“.