https://rotary.de/gesellschaft/neue-lust-auf-alte-sorten-a-9074.html
Peters Lebensart

Neue Lust auf alte Sorten

Peter Peter01.06.2016

Unglaublich: 25 Euro für ein Kilo Tomaten! So viel knöpfte die Turiner Supermarktkette Eataly mit dem Nova-Regio-Anspruch Kunden für ausgereifte grüne sizilianische Ochsenherz-Tomaten ab, die ungewässert und tiefwurzelnd eine einzigartige Fruchtsüße mit pikanter Säure entfalten. Ein Ausreißer für eine absolute Rarität, aber auch ein Signal, dass Gemüse nicht gleich Gemüse, Obst nicht gleich Obst ist und dass moderne Delikatessen nicht mehr unbedingt Hummer oder Kaviar sind.

Schon immer wurde für ausgefallene Gärtner­produkte mehr Geld hingelegt, etwa für Ananas, die Berliner Hugenotten in Gewächshäusern zum Reifen brachten, oder für die frühesten Kirschen, Spargel oder Erbsen. Die „Erstlingsfrüchte“, einst Weihegaben für die Götter, sind in Frankreich und Italien als „primeurs“ oder „primizie“ ein Begriff.

Am besten mit Erdkrume
Doch heute geht’s nicht um Luxus, sondern um das Authentische. Angesichts der – sprichwörtlich – holländischen Wassertomaten, um den Erdball geschickten Standardäpfel und vorgestanzten Fritten regt sich die Sehnsucht nach Sortenvielfalt, nach ländlichem Wohlgeschmack und Gourmetrebellentum. Klein, schrumplig, biologisch, am besten noch mit Erdkrume verklebt – so sieht das Objekt der Begierde im Sterne­restaurant und im Foodie-Haushalt aus. Ideal verkörpert durch rare Teltower Rübchen, die schon Napoleon und Goethe mundeten. Kaum ein Gemüse ist so schwierig, so wenig ertragreich zu schälen, doch der nussig-süße Wohlgeschmack entschädigt für alle Mühe.

Alte Sorten gelten automatisch als feiner denn die industriell besser vermarktbaren, lagerfähigeren Klone, die im 20. Jahrhundert regionale Sorten verdrängten. So lange Gemüse nur Sättigungsbeilage war, haben wir das vielleicht nicht so gemerkt, aber in Zeiten, in denen wir unseren Speisezettel durch vegetarische oder vegane Optionen takten, fällt die sensorische Fadheit mancher Normfrucht auf. Wer immer ein Näschen für feine Unterschiede hatte, sind die Schnapsbrenner – für wirklich edle Destillate tut’s ein Elstar nicht, da muss eine duftende Calville her, ein Borsdorfer oder Boskop.

Auch das Auge isst mit. Wer flämische Still­leben studiert, staunt, welch changierendes Farben­­spiel da abgebildet wird – grüne Pflaumen mit rötlicher Backe, weiße Navetten mit violettem Kragen, gelbe Doktorkirschen – eine ästhetische Freude an Biodiversität, die auf Frankreichs Märkten selbstverständlich ist und auch bei uns wieder nachgefragt wird.

Selbst ein Schrebergarten gilt jetzt als urban kreativ. Züchter wie Erich Stekovics, der für alte Tomatensorten kämpft, werden zu Stars, Führungen durch Streuobsthaine zu Symbolen eines aufgeklärten Lebensstils. Die Expo in Mailand schmückte sich mit dem Boomgardenprojekt von Eckart Brandt, der im Alten Land bei Hamburg mehr als 800 Apfelsorten von der Goldparmäne bis zum Herbstprinz rettet.

Wird auch die Pellkartoffel trendy? Aber ja, vorausgesetzt, es handelt sich um speckige Bamberger Hörnla oder Knollen von der raren Sorte Blauer Schwede. Die spielen dann die erste Geige, egal, ob es Kalbskotelett, Kräuterquark oder gesalzene Rohmilchbutter dazu gibt.

Peter Peter

Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.

pietropietro.de