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Über das Geheimschutzinteresse des Staates

Vertrauliches Handeln

Im Gespräch mit Udo Di Fabio

Udo Di Fabio15.02.2011

Herr Professor Di Fabio, steht der Anspruch des demokratischen Rechtsstaates auf Geheimschutz nicht der westlichen Idee der Freiheit entgegen?

Der Begriff „Staatsgeheimnis“ hat zu Recht keine gute Presse, weil im alten Obrigkeitsstaat damit den Demokraten bedeutet wurde, es gäbe eine Sphäre höherer Staatskunst, die nur den fachlich Eingeweihten vorbehalten sei. Als ein Mysterium, das Arkanbereiche für die Öffentlichkeit beansprucht, wollen wir heute kein „Staatsgeheimnis“ tolerieren.

 

„Offene Gesellschaft“ und „Geheimschutz“ sind schon rein begrifflich Gegensätze. Wie passt das inhaltlich zusammen?

Richter haben es eigentlich immer mit Gegensätzen zu tun. Transparenz und öffentliche Rechenschaft derjenigen, die politische Macht ausüben, sind in der Tat Wesensmerkmale einer demokratischen Gesellschaft. Aber die Verfassung schützt eben auch die Funktionsfähigkeit der gewählten Staatsorgane. Dass keine Reporter bei der Auswertung nachrichtendienstlicher Informationen im Kanzleramt anwesend sind, dürfte jedem einleuchten. Es gibt im diplomatischen Verkehr oder bei Fragen der Sicherheit praktische Notwendigkeiten der Rücksichtnahme und der Verschwiegenheit. Aus Rechtsgründen gilt Entsprechendes für das Persönlichkeitsrecht Betroffener. Selbst Ausschüsse des Bundestages tagen ohne Öffentlichkeit, weil sich so jenseits des politischen Schlagabtauschs besser sachliche Kompromisse erzielen lassen. Aber hier wird auch die Grenze deutlich. Wenn zu vieles in Gremien ohne öffentlichen Zutritt verlagert wird, entsteht rasch der Verdacht, es werde gekungelt. Es gilt also, berechtigten Geheimschutzinteresse und öffentlichen Informationsanspruch zu einem vernünftigen Ausgleich zu bringen.

Hat der Bürger etwas davon, wenn die politischen Repräsentanten mitunter im Verborgenen agieren?

Die Formulierung „im Verborgenen agieren“ hat etwas Geheimdienstliches und gehört deshalb auch begrifflich in diese Welt. Man könnte stattdessen fragen, ob Politik und Staat auch Möglichkeiten vertraulichen Handelns besitzen sollten und würde mit einem klaren „Ja“ antworten. Diskretion, Beratungsgeheimnisse, Verschwiegenheit sind in vielen Fällen gesetzlich oder moralisch vorgeschrieben, weil sonst ein unbefangener sachlicher Umgang erschwert, aber auch die Achtung vor der Person gefährdet wäre. Ganz folgerichtig hat sich auch der Bundestag eine Geheimschutzordnung gegeben, selbstverständlich wahren Richter das Beratungsgeheimnis.

 

Gibt es Formen legitimer Enthüllung?

Die Regierung hat gegenüber dem Parlament Rede und Antwort zu stehen. Sie muss jedenfalls gute G­ründe plausibel vortragen, wenn sie Informationen dem Repräsentationsorgan des Volkes vorenthalten will. Hier hat das Bundesverfassungsgericht regelmäßig die parlamentarischen Auskunftsrechte stark gemacht, Ähnliches gilt für den Informationsanspruch von Presse und Rundfunk. Dem Gericht kommt hier eine Wächterrolle zu, wobei manchmal der vernünftige Ausgleich zwischen berechtigtem Geheimschutzinteresse und öffentlichem Informationsanspruch zwar nicht einfach zu finden ist, aber es besteht insgesamt eine gut funktionierende rechtsstaatliche Kontrolle. Eine Art Faustrecht selbsternannter Enthüller von gesetzlich geschützten vertraulichen Informationen gibt es im Rechtsstaat nicht, in Diktaturen mag anderes gelten.

 

Wie sollte der Rechtsstaat mit diesen „Geheimnisverrätern“ angemessen umgehen?

Dort wo Gesetze gebrochen werden, muss der Rechtsstaat einschreiten, sonst verliert er Vertrauen und Ansehen. Zum Rechtsstaat gehört aber auch die angemessene und nicht die hysterische Strafandrohung. Unsere Sympathie sollte denjenigen gelten, die im Kampf für Menschenrechte und Demokratie die Diktatoren der Welt herausfordern und nicht denjenigen, die die Rechtsgebote einer freiheitlichen Gesellschaft verletzen.

Udo Di Fabio
Prof. Dr. Udo di Fabio, RC Bonn-Kreuzberg, war von 1999 bis 2011 Richter am Bundesverfassungsgericht und lehrt Öffentliches Recht an der Universität Bonn. Zuletzt erschien erschien „Die Weimarer Verfassung. Aufbruch und Scheitern“ (C.H. Beck). jura.uni- bonn.de