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Zur Zukunft der Landwirtschaft

Zeit-Räume für Strategien des Übergangs

Christiane Sörensen02.04.2012

Im europäischen Sprachgebrauch zeigen Worte wie „Landschaft“, „Landscape“ oder „Paysage“ an, dass Landschaft das Resultat einer kollektiven, schöpferischen Auseinandersetzung mit dem Land ist. Landschaft entsteht abhängig von der Kulturgeschichte einer Gesellschaft, die die wilde Natur erst zur Landschaft werden ließ. Landschaft fällt wieder an die naturräumlichen Prozesse zurück und verwildert, wenn sie der Mensch nicht ständig erneuert.

Die Herausforderungen, die heute an die Zukunft der Landschaft geknüpft sind, sind keine regionalen, sondern globale. Öffnen wir den Betrachtungsraum vor diesem Horizont, wird es schwierig, eine gemeinsame Sprache der Verständigung über die kollektive Bedeutung von Landschaft zu finden. So gibt es im arabischen Raum kein begriffliches Äquivalent für den Begriff. Die arabische Sprache stammt aus der Wüste. Entsprechende Begriffe für das Land beinhalten und begreifen das Land eher als ein Erfahrungsraum – als „Scenery“, denn als Ort der eingreifenden, gestaltenden Auseinandersetzung. Hier gilt Landschaft als Transitraum, der Wandel ist inbegriffen.

Wandel ist das gemeinsame Wesensmerkmal von Landschaft, und jede Landschaft ist und bleibt so gesehen eine Übergangslandschaft. Die fortschreitende Urbanisierung, Hinterlassenschaften von Industrie und Militär sowie die Folgen des Klimawandels verändern Landschaft auf dramatische Weise, führen zu entleerten, verlassenen Landschafsräumen, zu Extremen wie kontaminierten Sperrgebieten. Im Gegenzug wird fruchtbares Ackerland in schwachen Ländern Afrikas und Asiens zum globalen Investment und Spekulationsobjekt und dafür in großem Umfang zur gezielten Nahrungsmittelproduktion spezialisiert.  

Umbruch als Normalzustand
Wohin führen alle diese Veränderungen? Die Frage bleibt unbeantwortet. Umso mehr gilt es, kollektive Aneignungsformen der neuen Landschaften zu finden, die der Übergangssituation Rechnung tragen und eine nachhaltige Entwicklung aufzeigen. Hierfür lassen sich sowohl in den sozialen als auch in den raumordnerischen Dimensionen historische Vergleiche heranziehen.

Beginnend im 17. Jahrhundert entwickelte sich in England die Wollverarbeitung in großem Umfang. Infolgedessen wurde die gesamte Britische Insel binnen kurzem radikal in eine Park-Weide-Landschaft verwandelt. „Alles hegen sie zu einer Weide ein, sie reißen Häuser nieder, sie ebnen Dörfer ein, und lassen nichts stehen als die Kirche, die zu einem Schafstall gemacht wird“, so Thomas Morus in seinem Werk „Utopia“ (1516). Rohstoffe und Nahrungsmittel bezog man aus den Kolonien. Systematisch wurden mittels Einhegungskampagnen die Flächen zusammengelegt. Die Landbevölkerung flüchtete in die Städte.  
Die enormen Veränderungen – wie Bevölkerungsverschiebungen, soziale Brüche, Wandel in der Lebensweise – schufen auch ein neues Landschaftsverständnis. Historisch gesehen entwickelte sich die Liebe zur wilden Natur genau zu dem Zeitpunkt, als die wenigen nicht bewirtschafteten Landstriche verschwanden, verbunden mit der Ästhetisierung und Romantisierung des schwindenden ländlichen Lebens. Verbunden damit waren Quellen für Utopien, Bilder einer neuen Welt, wie etwa die Idealstadt eines Thomas Morus oder das Entstehen der „Ornamented Farm“ sowie später des englischen Landschaftsgartens.

Industriebrachen alsneue Allmende
Auch heute zeichnen sich derartige Entwicklungen weltweit ab, mit der Folge, dass der kollektive Zusammenhang einer Region mit den darin lebenden Menschen grundlegend in Frage gestellt wird. Schrumpfungsprozesse in den vormals intensiv genutzten Industrieregionen weisen auf das Entstehen einer neuen Zeitqualität hin. Gerade in diesem Prozess der Verlangsamung und Entvölkerung können Landschaftsbilder von narrativer Kraft sein. Sie werden zur „Scenery“ des Wandels – Landschaft als kollektiver Transitraum.

Der Landschaftspark Duisburg auf einem ehemaligen Hochofengelände im Ruhrgebiet hat als Meilenstein in dem Prozess der ästhetischen Verwilderung von Industrieruinen internationale Beachtung gefunden und gilt als Avantgarde-Projekt. Hier wurde an einem ehemaligen Arbeitsort der verlorengegangene Alltag enthüllt, über den eine imaginäre Landschaft gewachsen ist. Die Landschaft wurde zum Sinnbild für den kulturellen Aufbruch einer vom Niedergang bedrohten Region, was wiederum eine Romantisierung und Ästhetisierung von Industrieruinen zur Folge hatte.

Innerstädtische Brachen werden wie im Mittelalter zur Allmende, zum gemeinsamen Nährboden für das Entwickeln von kollektiven (Über-)Lebensstrategien. Die Umsetzung übergeordneter Konzepte könnte der Suche nach Gemeinschaft, Orientierung und notwendigem Zusammenhang in hohem Maße entsprechen. Als „Waiting Lands“ können sie zum konkreten Neuland für eine langfristige Entwicklung werden, erhaltenswerte Gebäude werden vermietet – auch ohne Mietpreis – an Startunternehmer mit der Auflage, ihre Flächen selber zu verbessern. Die übrigen Gebäude werden abgerissen, die entstandenen Leerflächen werden extensiv benutzt als Weideland oder für Raps oder Schafzucht. Dies alles setzt jedoch voraus, dass die Eigentumsverhältnisse diesen Prozess erlauben. Die moderne Allmende als Warteschleife für eine sinnvolle Landnutzung.

Gezielte Renaturierung
Vielerorts stellen die Hinterlassenschaften von Militär in Sperrgebieten ein nahezu unlösbares Problemfeld dar. Auf Grund ihrer langen Ausgeschlossenheit aus den zivilistorischen Entwicklungen des Umfeldes kann man, so widersprüchlich es klingen mag, in ihnen Landschaft oft noch in erhabener Weite erleben. In der mitteleuropäischen Kulturlandschaft mit ihren oftmals zu kleinen und verinselten Naturschutzgebieten stellen diese Gelände Wiederausbreitungsgebiete für gefährdete Tier- und Pflanzenarten dar und haben somit eine wichtige Bedeutung für den Artenschutz und als Genreservoir.
Ein kompetentes Naturmanagement könnte die Vergrößerung des Waldes und der Feuchtgebiete koordinieren, mit Konsequenzen für das Klima in ganz Europa. Es sei darauf hingewiesen, dass auf dem UNO-Umweltgipfel in Johannesburg 2002 angeregt wurde, waldreiche Regionen von der Weltbank als Klimaschutzzonen zu finanzieren. Der Begriff der Nachhaltigkeit als Wirtschaftsweise über einen langen Zeithorizont stammt aus dem Waldbau.

Wir leben in einer ausgesprochenen Stadtkultur. Die Wiederentdeckung der Landschaft als kollektiver Wahrnehmungsraum für gesellschaftliche Prozesse gewinnt darin immer mehr an Bedeutung – auch dies eine moderne Form der Allmende.

Landschaft als Frei-Raum?
An ein nicht aktuelles, aber sehr herausragendes Beispiel aus der Nachkriegszeit in Hamburg soll hier modellhaft erinnert werden: Das öffentliche Grün nach dem Kriege war großenteils zweckentfremdet, verwüstet, verwahrlost. Die Utopien für eine „Stadt von morgen“ waren eng geknüpft an einen neuen Landschaftsbegriff. Die frei geräumten Flächen wurden zum Experimentierfeld der Moderne, machten einen radikalen Neuanfang sichtbar, wobei begrifflich die Natur zum Grün und die Grünfläche zum „Frei-Raum“ wurde. Im Rahmen der ersten Internationalen Gartenbauausstellung in Hamburg 1953 sollte  mit  dem Alsterpark der grüne Ring um die Außenalster geschlossen werden. Das bislang noch parzellierte Alstervorland sollte nun öffentlich werden, und der Fußgängerverkehr sollte unmittelbar am Wasser entlangführen. Hinzu kam eine Skulpturensammlung mit dem Titel „Plastik im Freien“. Werner Haftmann sprach von einem gravierendem Bewusstseinswandel: „Dem nachdenklichen Betrachter werden tiefste Einblicke in unsere zeitgenössische Menschlichkeit vermittelt, – gerade weil sie nicht Dinge zeigt, die für einen bestimmten Raum geplant und gemacht sind. Sie zeigt vielmehr, wie die aus dem modernen Geist geschaffenen Dinge sich im großen Raum der Natur verhalten.“

Zur Zukunft der Landschaft gehören ihr beständiger Wandel und ihre Bedeutung als vertrauter Bezugsraum für kollektive Aufladungen. „Natur ist und bleibt ein Bild, angesichts der Veränderung unserer Wahrnehmung, für das immer noch Offene unserer zivilisierten Existenz – eine noch unverbrauchte Ressource ihrer Beweglichkeit.“