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Peters Lebensart

Cum grano Salis

Peters Lebensart - Cum grano Salis

Zur heutigen Designer-Küche gehören selbstverständlich die entsprechenden
Salze. So erfährt ein altes Lebensmittel neue Verehrung

Peter Peter01.03.2018

„Mit dem Salzkorn“ erleben wir einen kulinarischen Generationenwechsel. Erinnern Sie sich noch an den letzten Italienurlaub und die Zeitschriften-Trafiken mit dem nostalgischen blauen Schild Sale e Tabacchi? Salz galt als so wichtiges Gut, daß es dem Staatsmonopol unterlag. Da wurde nicht lange gefackelt, was für Sorten verwendet wurden, genau wie bei uns, als noch einträchtig Maggi-Fläschchen, Salz-und Pfefferstreuer auf den Gasthaustischen thronten. Das höchste der Gefühle war, zwischen unjodiertem und jodiertem Speisesalz zu wählen oder keck Mischungen mit Trockenkräutern der Provence einzusetzen.

Das hat sich gründlich geändert. Zur schicken Designer-Küche gehören auch Designer-Salze in edlen Designer-Döschen. Gourmets fachsimpeln, ob zu Lammschlegel, Tomatencarpaccio oder Thunfischsteak adriatisches Salinensalz aus dem slowenischen Piran oder walisisches Halen Môn, das über Eichenholz geräuchert wird, passt. Händisch Körnchen für Körnchen gekrümelt, nicht gestreut. Ob Ballermann oder Finca, das Standardmitbringsel im Urlaubsgepäck ist sonnengetrocknetes flor de sal, kristalline Salzblüten von der Südküste Mallorcas. Oder das meerblau verpackte Konkurrenzprodukt aus Ibiza. Eine Gaumenreise entführt an die windgepeitschten Strände Ostenglands, wo in einem Familienbetrieb in Essex winzige Salzpyramiden herauskristallisiert werden, deren Textur die Starköche entzückt: „Just sprinkle with Maldon Sea salt“, lautet das puristische und patriotische Credo Jamie Olivers. Und Douce France, wo Meersalzflocken und „graues“ Guérande-Salz immer schon die Alltagsküche verfeinerte, setzt noch eins drauf. Letzter Schrei sind bunte Macarons, deren süße Ganache-Füllung mit knusprigen Fleur-de-Sel-Kristallen durchwirkt ist.

Der Edelsalz-Hype krönt eine Koch- und Geschmacksphilosophie, die lieber das Produkt als seine Veredelung durch die Kochkunst feiert und im Kult des Rohen kulminiert. Salz wird von der Würze zur Zutat, zum kompositionellen Bestandteil einer Speise, der eigenständig wahrgenommen sein will. Auch die ausufernden Aromatisierungen (die an flavouring von Kaffee erinnern) zielen in diese Richtung.   

Modesalze werden nicht nur aus sensorischen, sondern auch aus esoterischen Wellness-Hoffnungen gekauft. Persisches Blausalz, Himalaya-Salz (das schnöderweise oft in Europa abgebaut wird) oder Steinsalz senden die Botschaft unkontaminierter Reinheit aus: Detox ohne Rieselstoffe.

So lösen all diese Phänomene eine Aufwertung des Rohstoffes aus. Salz ist nicht mehr selbstverständliche Billigstware, sondern genießt wieder die Achtung die ihm historisch zukam. Einst brachten Salzstrassen Wohlstand und verknüpften die Völker. Ganze Kulturen bauten auf das „weiße Gold“ auf. Die keltischen Bergleute in den Salzminen von Hallstatt konservierten vor fast 3000 Jahren Schinken durch Pökelung. Hall in Tirol oder Hallein führen noch immer das Ur-Silbe hal für Salz im Namen. Anchovis und Salzhering garantierten vor der Erfindung des Kühlschranks die ganzjährige Versorgung mit Fisch (und köstliche Rezepte wie Sardellenbutter oder provencalische Pissaladière), Soleier die Grundlage fürs nächste Bier in der Berliner Eckkneipe. Und manchmal weisen die weißen Körnchen auch über sich hinaus. „Attisches Salz“ kann man nur im Ausnahmefall essen, aber man kann darüber lachen. Die antiken Rhetoriker liebten es, die Verfertigung eines Textes mit der Zubereitung eines Gerichts zu vergleichen: Als sal Atticum würzt Witz eine Rede. Beide Male kommts auf die richtige Dosierung an.

Peter Peter

Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.

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