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Das Humboldt-Forum im Berliner Schloss als Bekenntnis einer Kulturnation

Ein neuartiger Ort der Weltkultur

Das Humboldt-Forum im neuen Berliner Schloss ist gegenwärtig das be­deutendste Bauprojekt Deutschlands. Welche Aussage trifft ein Land, wenn es ein derart markantes Vorhaben in seiner politischen Mitte den Kulturen der Welt widmet? Und was folgt daraus für den kulturellen Föderalismus? Diesen und weiteren Fragen zur Rolle der Kultur widmen sich die Beiträge dieses Titelthemas.

Hermann Parzinger12.05.2015

Mit dem Humboldt-Forum haben wir die große Chance, die historische Mitte Berlins von der Kultur her neu zu denken. Hier wurden einst herausragende Kultur- und Kunstschätze zusammengetragen, und von hier aus richtete sich die wissenschaftliche Neugier auf das Fremde und das Andere in der Welt. Das Konzept des Humboldt-Forums ist deshalb eng mit der Geschichte dieses Ortes verbunden, weil alle Sammlungen der Berliner Museen – auch die völkerkundlichen – auf die Kunst- und Wunderkammer des Berliner Schlosses zurückgehen, dort war ihre Keimzelle, und nun kehren sie wieder an den Ort ihres Ursprungs zurück. Dem Humboldt-Forum wurde mit dem Bundestagsbeschluss von 2002 zum Wiederaufbau des Schlosses zugleich aber auch eine enorm politische Aufgabe übertragen: Es sollte für Weltoffenheit, Gleichberechtigung und Toleranz im wiedervereinigten Deutschland stehen. Kulturelle Großprojekte tragen zu allen Zeiten und überall eine politische Dimension in sich.

Die Museumsinsel mit ihren großartigen Sammlungen zur Kunst- und Kulturentwicklung Europas und des Nahen Ostens war die große Vision des 19. Jahrhunderts. Mit dem Humboldt-Forum auf der anderen Seite des Lustgartens wird diese Vision nun um die Kunst und Kultur Asiens, Afrikas, Amerikas, Australiens und Ozeaniens erweitert. Museumsinsel und Humboldt-Forum bilden eine Einheit, gemeinsam lassen sie in der Mitte Berlins einen besonderen Ort der Weltkulturen entstehen, der aus dem ganzen Reichtum der Sammlungen aus aller Welt unter dem Dach der Stiftung Preußischer Kulturbesitz schöpfen kann.

Der Besucher wird das künftige Humboldt-Forum durch das nach Westen gerichtete Portal III unterhalb der Kuppel betreten und in die große, überdachte Eingangshalle gelangen, die gewissermaßen das Gravitationszentrum des Gebäudes bildet: Treffpunkt des Publikums, mit Informationen zu den vielfältigen Angeboten auf allen Etagen und Ausgangspunkt einer zentralen Besucherführung durch das Haus. Eingefasst wird diese Halle von umlaufenden Galerien, die – gleichsam als Einführung – mit Objekten und Bildinstallationen an die ideen- und geistesgeschichtliche Bedeutung der einstigen Kunstkammer erinnern. Dabei greifen wir Aspekte der historischen Kunstkammer auf und überführen sie in einen modernen Makrokosmos im Mikrokosmos. Anders als in den Kunstkammern des 18. Jahrhunderts soll der Besucher jedoch nicht mehr über fremdartige Kuriositäten und Raritäten staunen, sondern mit Hilfe der Zeugnisse mehr über eine in Jahrhunderten gewachsene gegenseitige Wahrnehmung der Weltkulturen erfahren.

Eintauchen in ferne Kulturen

Die Grundlage des Humboldt-Forums bilden die außereuropäischen Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Sie zählen zu den größten und bedeutendsten ihrer Art weltweit, ergänzt durch einmalige Ton- und Filmdokumente, Forschungsbibliothek und Archiv, eine einzigartige Basis für die Auseinandersetzung mit der Kunst- und Kulturgeschichte Afrikas, Amerikas, Asiens, Australiens und Ozeaniens. Die Berliner Sammlungen sollen dabei aber kein Zeugnis der Vergangenheit sein, sondern eng mit den zentralen Fragen der Gegenwart verbunden werden. Objekte und Kunstwerke sollen dabei stärker als zuvor Wissen über die Welt vermitteln und alte und falsche Denkmuster aufbrechen. So führt die Erwerbungsgeschichte von Artefakten im Kontext des Kolonialismus unweigerlich zu der Frage nach den Ursachen und Folgen der von Europa diktierten Weltordnung des 18. und 19. Jahrhunderts, dessen Nachwirkungen wir noch heute spüren. Alles im Leben hat seine zwei Seiten, wie die künftige Präsentation der bronzenen Reliefplatten aus Benin im Humboldt-Forum verdeutlichen wird, die zu den Höhepunkten westafrikanischer Kunst gehören. Während man auf der Vorderseite der Stücke ihre kunstvollen Darstellungen bewundern kann, wird der Besucher auf ihrer Rückseite mit der Erwerbungsgeschichte konfrontiert: Interviews, Filme und Fotos thematisieren dort Ursachen und Folgen der Kolonialisierung auch mit den Stimmen der Betroffenen. Das Humboldt-Forum kann nur dann ein weltoffener Ort sein, wenn wir auch den Perspektiven der Anderen eine Stimme geben.

Von entscheidender Bedeutung wird es sein, die Sammlungen zu Trägern einer neuartigen, intensiven und dauerhaften Kommunikation mit den Kulturen und Ländern zu machen, aus denen sie stammen. Im Sinne von shared heritage müssen wir die Sammlungen gemeinsam entschlüsseln und ihnen ihre Geschichten entlocken. Europa ist längst nicht mehr das Weltdeutungszentrum, und es wird Zeit, andere Sichtweisen einzubeziehen, auch wenn sie bisweilen unangenehme oder uns auf den ersten Blick nicht einleuchtende Fragen stellen. So kooperieren wir zum Beispiel bei der Arbeit an der Amazonien-Sammlung mit einer Indigenen-Universität am Orinoco in Venezuela; im künftigen Humboldt-Forum wird der Besucher über eine webbasierte Plattform direkt mit den Menschen dort in Kontakt treten und von ihnen mehr über die ausgestellten Objekte und auch über die Probleme des heutige Lebens dort erfahren können. Er wird in eine faszinierende Welt eintauchen, in der Tiere als Personen gedacht werden und Menschen mehrere Seelen besitzen können. Ein anderes Beispiel: In der obersten, zur Gänze Asien gewidmeten dritten Etage wird der renommierte chinesische Architekt und Künstler Wang Shu einen der großen Säle zum Thema chinesische Hofkunst gestalten und dabei seine heutige Sicht auf die eigene Kulturgeschichte in besonderer Weise deutlich werden lassen.

Berliner Geschichte(n)

Die Sammlungen haben aber auch eine spezifisch Berliner Geschichte: Sei es die Leibnizsche Kunstkammer mit der ersten systematischen Ordnung von Exotica, sei es die im Geiste der Gebrüder Humboldt und Anderer entwickelte universale Gelehrsamkeit, die aufrief, die Welt zu erforschen, sei es der verspätete Kolonialismus des Kaiserreichs mit den Langzeitfolgen von Bismarcks Kongo-Konferenz u.v.m. Dies zu thematisieren, wird auch Aufgabe der vom Land Berlin geplanten Ausstellung mit dem vorläufigen Arbeitstitel „Welt.Stadt.Berlin“ sein, die damit einen notwendigen inhaltlichen Rahmen für die Sammlungsgeschichte setzen und Bezugsebenen schaffen kann. Vor allem aber kann sie – zusammen mit Interventionen zeitgenössischer Kunst auf den Ausstellungsetagen – eine Brücke von den historischen Artefakten zur Gegenwart, zum heutigen Leben in Berlin schlagen. Zu einer ganzen Reihe von Sammlungskonvoluten arbeiten wir mit Vertretern der Herkunftsländer zusammen, die längst in Berlin leben. Anderen eine Stimme geben, heißt auch, sie mit ihrem Blick auf uns zu Wort kommen zu lassen. Auch das ist Teil eines symmetrischen Dialogs.

Aber das Humboldt-Forum ist mehr als eine weite Halle des Weltgedächtnisses mit faszinierenden Objekten und spannenden Objektgeschichten. Das Publikum wird auch Sonderausstellungen, Film-, Performance-, Musik-, Theater- und Diskussionsveranstaltungen besuchen können und mehr über die brennenden politischen, sozialen, kulturellen und künstlerischen Fragen und Probleme der Gegenwart erfahren. Die dafür vorgesehenen Ausstellungs- und Multifunktionsräume im Erdgeschoss sowie die bewusst frei gehaltenen und mit den Veranstaltungen im Erdgeschoss zu verknüpfenden Räume in den Ausstellungsetagen darüber lassen im Kontext mit den großartigen Sammlungen aus der ganzen Welt ein attraktives Programm gestalten. Das Humboldt-Forum wird auf diese Weise Vielfalt, Lebendigkeit und Aktualität bieten und den Besuchern helfen, das Werden und die Wechselbeziehungen unserer globalisierten Welt besser zu verstehen.

Der Auftrag an die Gründer

Diese neue Institution wird sich allerdings nur dann erfolgreich entwickeln können, wenn aus seinen einzelnen Bestandteilen ein Ganzes wird. Dazu braucht es die gesamte Kompetenz der im Humboldt-Forum vertretenen Einrichtungen und ihrer Mitarbeiter, weil diese neben ihren Sammlungen auch das vielfältige Wissen über die Kultur-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte der ganzen Welt einbringen. Das Humboldt-Forum wird ein gewaltiger Organismus mit besonderen Potentialen und großen Herausforderungen sein. Insofern war es richtig, gerade in dieser Gründungsphase eine dreiköpfige Intendanz zu berufen, der unter dem Vorsitz des scheidenden Direktors des British Museums, Neil MacGregor, auch der Kunsthistoriker Horst Bredekamp und der Verfasser angehören. Dieser Gründungsintendanz wird es obliegen, nicht nur ein erstes Programm für die Bespielung des Humboldt-Forums ab 2019 und danach zu entwickeln, sondern zugleich auch eine angemessene und tragfähige Organisations- und Betriebsstruktur zu erarbeiten.

Die Idee des Humboldt-Forums hat großes Potential, das aber immer wieder auch zu seinem Problem wird: Die Einen überfrachten das Vorhaben mit Erwartungen, als ob das Humboldt-Forum die Probleme der Welt lösen würde. Die Anderen wenden genau diese Erwartungen gegen das Projekt. Beides ist falsch. Aber Eines steht fest: Das Humboldt-Forum wird – im besten Humboldtschen Sinne – „erfreuen und belehren“, es wird dem Besucher herausragende Kunst von allen Kontinenten präsentieren und die Welt besser verstehen lassen. Dadurch wird dieser Ort auch zur Selbstvergewisserung über uns selbst in einer immer stärker vernetzten Welt beitragen. Wissen und Bildung machen die Welt lesbar und sind die entscheidenden Schlüssel zu Respekt und Toleranz gegenüber Anderen, ohne die ein friedliches Zusammenleben nicht möglich ist. Und das ist zugleich das zentrale Anliegen des Humboldt-Forums. 


Weitere Informationen zum Humboldt-Forum und zum Stand des Wiederaufbaus des Berlines Schlosses unter:
www.humboldt-forum.de
www.berliner-schloss.de

Hermann Parzinger

Prof. Dr. Hermann Parzinger (RC Berlin) ist ein deutscher  Prähistoriker und Spezialist für die Kultur der Skythen. Seit 2008 ist er Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Zuletzt erschien „Abenteuer Archäologie: Eine Reise durch die Menschheitsgeschichte“ (2. Auflage, C.H. Beck 2018).

preussischer-kulturbesitz.de