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Österreichs Weine

Fixstern am gesamteuropäischen Weinhimmel

Die österreichischen Weine sind so gut wie vielfältig. Doch das war nicht immer so. Die Geschichte des Weinanbaus ist auch getrübt von Schädlingen und Skandalen.

Daniel Deckers01.10.2017

Wien, Pfingsten 2016. Wie alle zwei Jahre im Frühling erstrahlt die Wiener Hofburg in einem besonderen Glanz. Anlässlich der zweijährlich stattfindenden VieVinum treffen Fachleute aus aller Welt auf eine Winzerschaft und ein heimisches Publikum, denen die Begeisterung für die Weiß- wie Rotweine aus Österreich ins Gesicht geschrieben steht. Und das vollkommen zurecht.
Ob in Niederösterreich an der Donau und ihren Seitentälern, ob in dem an den östlichen Ausläufern der Alpen zur pannonischen Tiefebene hin gelegenen Burgenland, ob in der Steiermark, dem nach Slowenien und Ungarn offenen südlichen Grenzland, ja selbst in Wien mit seinen vielbesungenen Weinorten Grinzing, Sievering oder Nussdorf  – überall haben sich in den vergangenen drei Jahrzehnten Dinge getan, die an ein Wunder grenzen: Rieslinge aus der Wachau und dem Kamptal brauchen keinen Vergleich mit den besten deutschen Weißweinen zu scheuen. Der grüne Veltliner hat wie zahlreiche andere regionale Spezialitäten, etwa der Wiener „Gemischte Satz“, so viele Liebhaber, dass nur wenige Flaschen das Land verlassen. Und mit den Weinen aus der Rebsorte Blaufränkisch ist Österreich zum Dorado für Rotweinenthusiasten geworden, die der Trophäenjagd auf „Super-Tuscans“ und dem hochspekulativen Gewese um die teuersten Bordeaux-Weine überdrüssig geworden sind. Individualität statt Masse, Typizität statt Internationalität – so präsentiert sich heute die mit etwa 47 000 Hektar kleine, aber feine österreichische Weinwelt.

Österreichische Weinvielfalt
„Die Weine Österreichs sind so verschieden wie seine Menschen“, so hatte es Henri Vizetelly in einem als Buch gedruckten Bericht über die Weine festgehalten, die er als Mitglied der Wein-Jury der Weltausstellung des Jahres 1873 in Wien geprüft hatte.  Der englische Weinkenner und Journalist sparte auch nicht mit Lob für den einen oder anderen Wein. Angetan hatten es ihm etwa der rote Vöslauer, eine Cuvée aus den Rebsorten Blauer Portugieser, Burgunder, St. Laurent und Limberger (Blaufränkisch), und der Weißwein aus Gumpoldskirchen, der aus den Rebsorten Zierfandler und Riesling gekeltert worden war. Allerdings war Vizetelly nicht besonders erbaut darüber, dass in Wien außerordentlich viele einfache, wenn nicht schlechte Weine gezeigt wurden: „vins verts (unreife Weine) im Vollsinn des Wortes“. Freilich war die Auswahl an Weinen aus den österreichischen Kronländern von Böhmen nahe der Grenze zu Sachsen im Norden bis in das weit südlich an der Adria gelegenen Dalmatien ein getreuer Spiegel der Wirklichkeit des Weinbaus in der Mitte des 19. Jahrhunderts.

Anbau auf winzigen Parzellen
Wo sich nicht Stifte, Abteien oder allerlei weltliche Herrscher bis zum Kaiserhaus dem Qualitätsweinbau verschrieben hatten, glichen die Verhältnisse in Österreich-Ungarn denjenigen in allen europäischen Weinbauregionen ums Haar. Auf kleinsten Parzellen rangen einfache, ungebildete Bauern ihren kunterbunt und ungeordnet dastehenden Rebstöcken Jahr um Jahr im Schweiße ihres Angesichts Trauben ab, deren Most wie schon zu Zeiten der Römer von der offenen Kelter ins Fass rann und das nächste Jahr nicht mehr erleben sollte. Entweder war er selbst getrunken worden, ehe er zu Essig hatte werden können, oder er war in einer nahegelegenen Gastwirtschaft ausgeschenkt worden.
Das Ende der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie im Jahr 1921 sollte an der wenig romantischen Lebensweise der meisten Winzer und der allenfalls bescheidenen Qualität der österreichischen Weine nichts ändern.  Im Jahr 1936 wurden jene fast 38.000 Hektar Rebfläche, die nach der Verseuchung aller Weinbaugebiete durch die Reb-laus mit mehr oder weniger Erfolg wiederaufgebaut worden waren, von annähernd 68.000 Betrieben bewirtschaftet. Ganze acht Prozent davon besaßen eine Rebfläche von einem Hektar oder mehr. 77 Betriebe – oder 0,11 Prozent –  bauten auf fünf oder mehr Hektar Reben an. Und selbst in diesen waren die einzelnen Parzellen oft so klein und so weit verstreut, dass an eine Mechanisierung der fast ausschließlich in Handarbeit vorgenommenen Arbeitsgänge im Weinberg und im Keller nicht zu denken war.
Den Nationalsozialisten bot die desolate Lage des österreichischen Weinbaus nach dem „Anschluss“ im Frühjahr 1938 nicht nur eine willkommene Gelegenheit, mit dem alten „System“ abzurechnen. Zugleich wollte sie die Winzerschaft an den in Deutschland erprobten Wohltaten ihrer „Blut-und-Boden“-Politik teilhaben lassen. Der Hauptverband der deutschen Weinwirtschaft kaufte umgehend die schlechte Ernte des Jahres 1937. Gleichzeitig wurden die jüdischen Weinhändler aus dem Markt gedrängt. Durch deren Hände gingen etwa zwei Drittel des Weins, der nicht direkt in die Buschenschänken und Gaststätten gebracht wurde. Ein Rebschutzdienst sorgte umgehend dafür, dass die Bekämpfung der allfälligen pflanzlichen Schädlinge wie dem echten (Oidium) und falschen Mehltau (Peronospora) in geordnete Bahnen gelenkt wurde. Der Beifall der tonangebenden Männer im österreichischen Weinfach wie dem Vöslauer Wein- und Sektproduzenten Robert Schlumberger und dem Rebenzüchter Friedrich (Fritz) Zweigelt, dem Leiter der 1860 gegründeten Höheren Lehranstalt für Obst- und Weinbau in Klosterneuburg, kannte keine Grenzen.

Fortschritt durch Mechanisierung
Genossenschaften sollten der Mehrzahl der Winzer in der „Ostmark“ wirtschaftlichen Halt geben und die durchschnittliche Weinqualität verbessern. Vor allem aber sollten Musterweingüter nach dem Vorbild der preußischen Domänen im Rheingau, an der Mosel und an der Nahe den „neuzeitlichen Weinbau“ propagieren, wie er seit den 1920er Jahren in Deutschland langsam aber sicher Fortschritte machte: Flurbereinigung, Konzentration auf wenige Qualitätsrebsorten, Selektion ertragssicherer und krankheitsfreier Klone, Mechanisierung und Rationalisierung der Arbeit im Weinberg wie im Keller, Förderung des Absatzes der Weine durch gezielte Propaganda zugunsten des „deutschen“ Weins – die Zukunft des österreichischen Weins leuchtete in helleren Farben denn je.
„Wein von Donau und Rhein“, so lautete denn auch der Titel einer durchaus seriösen Broschüre, mit der die Nationalsozialisten nach 1938 Werbung für deutschen Wein machten – eine englische und eine französische Übersetzung eingeschlossen. Die damalige Weinwelt nahm daran ebenso wenig Anstoß wie an der Eliminierung der Juden aus dem (groß)deutschen Weinhandel: Als Nazi-Deutschland in den letzten Augusttagen des Jahres 1939 in Bad Kreuznach einen Internationalen Weinbaukongress ausrichtete, gab es nicht nur Weine aus der „Ostmark“ zu trinken. Die nationalsozialistischen Weinbaufachleute und -politiker konnten sich weltweiter Anerkennung ihrer wissenschaftlichen und praktischen Leistungen sicher sein.

Stunde Null des Weinbaus
Kommt heute die Rede auf die dunkelsten Momente der österreichischen Weinbaugeschichte, so dreht sich das Gespräch so gut wie nie um die Jahre 1938 bis 1945 und das kollektive Beschweigen dieser Zeit bis in die Gegenwart. Die Stunde Null des österreichischen Weinbaus war nicht das Jahr 1945, sondern der Sommer 1985. Deutsche Kellereien hatten Weine von österreichischen Partnern bezogen, die mit dem gemeinhin als Frostschutzmittel bekannten Diäthylen-Glykol gesüßt worden waren. Binnen Wochen wurden im Ausland die deutschen „Sweet-and-cheap“-Exportschlager unverkäuflich, in Österreich brach der Binnenmarkt zusammen. Dabei hätte jeder, der es wissen wollte, längst wissen können, dass seit den siebziger Jahren im Burgenland und anderswo viel weniger und viel schlechterer Wein erzeugt wurde, als in Österreich und im deutschsprachigen Ausland in den Weinregalen auftauchte. Zumal war (und ist) Weinfälschung in allen weinerzeugenden Ländern gang und gäbe – in Italien starben im Jahr darauf mehr als zwanzig Personen nach dem Verzehr gepanschten Weins, in Deutschland wurde dem Präsidenten des Deutschen Weinbauverbands der Prozess gemacht. Doch mehr als jedes andere Gebot gilt in der Weinwelt das elfte: „Du sollst Dich nicht erwischen lassen.“ Und Österreich hatte es erwischt.
Gut 30 Jahre später ist das Weinland Österreich nicht mehr wiederzuerkennen. Dank der Pionierarbeit Dutzender Winzerpersönlichkeiten und regionaler Zusammenschlüsse wie „Österreichische Traditionsweingüter“, „Pannobile“, „Steirische Terroir- und Klassikweingüter“ oder „Vinea Wachau Nobilis Districtus“, dank eines der strengsten Weingesetze und entsprechender Kontrollen und dank der Arbeit der mittlerweile legendären Österreich Wein Marketing GmbH (ÖWM) ist das Land vom Aschenputtel an der Peripherie Westeuropas zu einem Fixstern am gesamteuropäischen Weinhimmel geworden – allen Irrungen und Wirrungen bei Weinstilen und allen irdisch-vergänglichen Ungereimtheiten im Weinbezeichnungsrecht rund um die Herkunftsgarantie „Districtus Austriae Controllatus“ (DAC) zum Trotz.

VieVinum 2018
Der Glanz dieses Fixsterns lässt indes nicht nur immer wieder die Hofburg und die heimischen Produzenten und ihre Weine erstrahlen – die nächste VieVinum findet im Juni 2018 statt. Fast 150 Jahre nach der Wiener Weltausstellung geben sich in der alten Hauptstadt Kakaniens nicht mehr nur Weingüter aus den ehemaligen Kronländern Österreichs die Ehre. Auch Ungarn, ja ganz Südosteuropa bis nach Moldau über Bulgarien bis tief in den Süden des Balkans ist mit Weingütern vertreten. Um das Potential dieser Länder zu ermessen, hilft nicht nur ein Blick zurück in die Weinwelt des 19. Jahrhunderts, die Henry Vizetelly detailliert in seinem meisterhaften Buch „The Wines of the World. Characterized and classed“ im Jahr 1875 festgehalten hat. Eine Prüfung der Weine tut das Übrige. Nicht nur die Weine Österreichs sind so verschieden wie seine Menschen – und so gut.

Daniel Deckers

Daniel Deckers ist verantwortlicher Redakteur in der Politik der „FAZ“ und lehrt Geschichte des Weinbaus und Weinhandels an der Hochschule Geisenheim University.



 

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