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Hoffmeisters Empfehlungen

Magische Momente

Hoffmeisters Empfehlungen - Magische Momente
© Jessine Hein/Illustratoren

Die Feier des Augenblickes im japanischen Gedicht – und im Polaroid-Foto

Martin Hoffmeister01.07.2018

Augenblicke bilden die letzten Versprechen in dahinstürzender Zeit. Sie ereignen sich ungefragt. Bedeutung, bisweilen existenzielle Dimension, erlangen sie im Rückblick. Anfangs steht selten der Beginn.

Polaroid-Fotos haftete stets das Manko des Unpräzisen und technisch Suboptimalen an. Selbst die Verfechter des „Sofort“-Bildes vergaßen die Resultate zumeist ebenso schnell, wie sie sich aus der Kamera hervorgeschoben hatten. Zuverlässiger Begleiter waren die Polaroids dem jungen, ambitionierten Filmemacher Wim Wenders, der parallel seiner künstlerischen Projekte in den 60er, 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zahllose Polaroids fertigte. Der gleichnamige Band versammelt über 400 Bilder aus entsprechender Zeit. Er spiegelt nicht nur die Aufbruchsstimmung des deutschen Films, sondern zeigt überdies (Selbst-)Porträts, Szenenfotos und Reise-Impressionen. Weniger kunstfertiger Präzision, der Nuance und stilistischer Konsistent gilt das Augenmerk Wenders’, vielmehr atmosphärischen Kategorien und der Seele des Augenblicks.

Abdel Rahman El Bacha, Arabesques, Piano, CD
© Mirare

Der libanesisch-französische Pianist Abdel Rahman El Bacha zählt zu den wesentlichen Chopin-, Beethoven-, Ravel- und Prokofiev-Interpreten der europäischen Szene. Seine Exegesen stehen für ausgereifte Spielkultur, Stilsicherheit, schattierte Anschlagswerte und koloristisches Raffinement. Dass El Bacha zudem als Komponist zu reüssieren weiß, zeigt vorliegende Werkauswahl mit Piano-Miniaturen. Im Gestus deutlich der musikalischen Romantik verpflichtet, transportieren sie ein vielgesichtiges Klangspektrum, das Idiome des Orients vereint mit Elementen unterschiedlicher europäischer Tonsprachen. Kleine und kleinste Werkeinheiten reflektieren den „schönen“ Moment. Arabesken definieren das Zentrum einer Musik, deren betörende Poesie die flüchtige Natur ihrer Anlage apart unterstreicht.

Keine zweite literarische Gattung ist der Feier des Augenblicks nachhaltiger verpflichtet als das Tanka. Als älteste japanische Gedichtform und Vorläufer des populäreren Haikus liegt sein inhaltlicher Fokus im Wesentlichen auf poetischen Momentaufnahmen von Natur, Landschaften, seelischer Verfasstheit und Selbstreflexionen. Zu den Großmeistern der 1300 Jahre alten Gedichtform gehört der 1928 gestorbene Wakayama Bokusui. Dessen „moderne“ Tanka bewegen sich feinsinnig wie exemplarisch in den Spannungsfeldern von Lyrismus und Abstraktion, Subjektivität und überzeitlicher Weisheit, Ausdruckstiefe und Reduktion. Auf den Punkt: Einlassungen gegen verbale Indifferenz und Inflation.

Maria Callas, Callas, Tosca, 1964
© C major/Sounding Images

Noch über vier Jahrzehnte nach dem frühen Tod der Primadonna Assoluta scheint ihre künstlerische und biografische Strahlkraft ungebrochen: Maria Callas lebt – in den Medien, in Fachpublikationen, insbesondere in zahllosen Ton- und Bilddokumenten. Durchaus im Zeichen der Legendenbildung steht der vorliegende Film-Essay „Tosca 1964“. In Interviews mit Sängerinnen, Dirigenten und Publizisten sowie Ausschnitten aus der entsprechenden Zeffirelli-Produktion am Londoner Royal Opera House spürt Holger Preusse Kunst und Persönlichkeit der Jahrhundert-Sopranistin nach, die nach sukzessivem Rückzug von der Bühne Ende der 50er Jahre 1964 ihr furioses Comeback erlebte. An den „Grenzen der Schönheit“ (Anna Prohaska) der letzte Triumph einer Sängerin, deren Leben sich selbst zur (tragischen) Oper entwickelt hatte.


Informationen:

  • Wim Wenders, Sofort Bilder – Die Polaroids, Schirmer Mosel, 320 S., 49,80 Euro --> Ausstellung: C/O Berlin/ Amerika Haus (07.07.18–23.09.18)
  • Wakayama Bokusui, In der Ferne der Fuji wolkenlos heiter, Manesse, 142 S., 16 Euro
  • Maria Callas, Magic Moments of Music/Tosca 1964, A Film by Holger Preusse, C Major 743708, DVD
  • Abdel Rahman El Bacha, Arabesques, Œuvres pour Piano, Mirare, CD
Martin Hoffmeister

Martin Hoffmeister publiziert regelmäßig in nationalen und internationalen Magazinen und Zeitungen. Als Redakteur im Kulturressort des MDR-Hörfunk beobachtet er die Musik- und Literaturszene seit mittlerweile drei Jahrzehnten. Im Rotary Magazin empfiehlt er Neuerscheinungen aus dem Kulturleben und Fundstücke von seinen Reisen.

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