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Peters Lebensart

Runter mit der Tischdecke?

» Unverzichtbar ist dann die offene Küche - reality  cooking auf Augenhöhe «

Peter Peter29.12.2015

Ein Model im Kostüm, mit Perlenkette und High Heels vor einem Schloss zu fotografieren, sieht edel aus. Aber mehr Aufsehen erregt, wer die Lady mit der Welt der Arbeiter konfrontiert – etwa mit Kohlekumpeln, die mit verschmierten Gesichtern aus einem Schacht steigen.

Ähnlich stilbrechenden Prinzipien huldigt die Avantgarde der Gastroszene. Unverkleideter Schleifbeton und Tätowierungen auf Kocharmen, die emsig in der open kitchen werkeln, gehören fast schon zum bon ton, um den Kontrast zu feinen Speisen, teuren Weinen und edlen Gläsern herauszuarbeiten. Jahrhundertelang gepflegte Riten der gehobenen Gastronomie werden als zu brav abgetan, Einkehr wird zum innenarchitektonischen Erlebnis, zum Abenteuer Essen gestylt. Vordenker war das Noma in Kopenhagen, das mit seinem Konzept eines antifranzösisch–skandinavischen Restaurants die Tischdecke als bourgeoises Relikt abschaffte. So wird im „weltbesten Restaurant“ die gemaserte Oberfläche des Tisches aus dänischer Eiche zum Designer-Statement, das volks­tümliche Bewirtung an rohen Holztafeln zitiert. Die Waschmittel sparende Idee schlug ein. Selbst das Flaggschiff der Pariser Haute Cuisine, Alain Ducasses Gourmettempel im Plaza Athénée, verzichtet seit seiner Renovierung auf Damast, „damit man das edle Holz besser sehen kann“.

Salzbutter auf granit
Auch Porzellan verschwindet. Trendsetter verwenden heimisch Getöpfertes, inspiriert von der Zen-Schlichtheit asiatischer Keramik. Zur Marotte ist allerlei Gestein geworden. Sogar ein Drei-Sterne-Doyen wie die Auberge de l’Ill glaubt, Salzbutter auf peinlichem Granitplättchen servieren zu müssen. Ohne Holzlöffel und Fingerfood, wo man mutig wie Maharadschas mit der Hand zugreifen muss, geht gar nichts. Sogar der klassische Tisch droht zu veschwinden – Endlostresen oder eine Sitzschlange aller Gäste sind populärer.Wunderbare Locations, um diese Innovationen zu studieren, bietet New York mit seinem edel-räudigen Meatpacking District oder Berlin. Ein Kultobjekt dieser Trümmerästhetik ist Tim Raues La Soupe populaire. In der gruftigen Betonhalle einer ehemaligen Brauerei mit brutalistischen Installationen und hochkarätiger Gemäldegalerie wird feinste Berliner Kost wie Sous-vide-Eisbein zelebriert.

Chichi oder hat der inszenierte Stilbruch eine Botschaft? Mal ehrlich, auch bei uns zu Hause wird immer häufiger das formale Speisezimmer abgeschafft, treiben wir uns bei Partys in der Küche herum. So liegt dem Konzept eine radikale Neudefinition von Gastlichkeit als Partnerschaft zugrunde, die die Hochküche um Zitate volkstümlicher Lebensfreude, ja bäuerlicher Authentizität bereichert. Unverzichtbar ist logischerweise die offene Küche – reality cooking auf Augenhöhe mit dem Gast. Wenn dann Köche noch den Ober ersetzen und eigenhändig ihre Speisen servieren, werden Prinzipien des Theaters in die Gastroregie eingespeist, dann wird im postmodernen Gesamtkunstwerk Restaurant subtile Natürlichkeit als neuer Luxus gefeiert.

Und doch, die gute alte Tischdecke! Wer erlebt hat, wie in einer Trattoria am Strand der Cameriere eigens für dich das blendend weiße Tuch schwungvoll über ein wackliges Tischchen breitet, festklemmt und mit den Worten einlädt: „È pronto, Signore!“, der mag das herrlich unaufgeregte Zeremoniell nicht missen.

Peter Peter

Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.

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