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Peters Lebensart

Wer braucht noch Sterne?

Peter Peter01.03.2016

Selbstmord eines Starkochs, der gerade als bester Cuisinier der Welt gehypt wurde. Für Benoit Violier, der sich im Januar 2016 im schweizerischen Crissier erschoss, dürfte nicht Stress durch das Sterne-Ranking das Hauptmotiv gewesen sein wie beim Freitod von Bernard Loiseau. Der verschuldete burgundische Kochunternehmer setzte 2003 seinem Leben ein Ende, als er den dritten Michelin-„Macaron“ verlor.

Tragische Ereignisse dieser Art spülen immer wieder die Diskussion hoch, ob eine Sterneküche ihre Protagonisten auslaugt oder gar auffrisst. Das enge Bewertungskorsett, das Michelin mit Sternen und Gault Millau mit Kochmützen vorgibt, birgt viele Nachteile wie beispielsweise die familienfeindliche Arbeitszeit und die Präsenzpflicht des Promi-Kochs.

Luxusgastronomie ist mühsam
Auch die Kritik an einem überkommenen Zeremoniell wird laut, oft wird hohe Schule höher bewertet als Originalität, und Grüßerei aus der Küche artet in Manie aus. Es droht der Verlust der kulinarischen Lebensfreude an einfachen Dingen – wer ständig zehn verschiedene Gebäcksorten auffahren muss, beginnt sich nach dem bäuerlichen Laib Brot zu sehnen. Basta.

Doch meist gilt: It’s the economy. Denn Bestnoten lassen sich nicht automatisch in Gästezahlen und Rentabilität verwandeln. Vor allem bei Ein- und Zweisterne-Tempelchen. Sternegastronomie bedeutet fast immer steigende Preise, Investitionen in Personal, Besteck, Gläser und die kostspielige Pflicht, einen überdimensionierten Weinkeller voll Prestige-Tropfen vorrätig zu halten. Amortisieren lässt sich das, wenn man durch ein Hotel querfinanziert wird. Oder wenn man, was nicht jedermanns Sache ist, sich vom Koch zum Unternehmer mausert, wie es Paul Bocuse vormachte. Luxusgastronomie ist eben kein Selbstläufer.

Macht nichts, wenn man um das halbleere Sanktuarium des Dreisterne-Restaurants eine Fülle gewinnbringender Aktionen webt. „Mit meinen Fernseh­honoraren kann ich mir mein Restaurant leisten“, ironisiert die Hamburgerin Claudia Poletto. Erst mit Zweitlokal, Shop, Website für Küchengeräte, Edelsalze und Öle, Kochkursen, Catering und Kochbüchern rechnet sich das Ganze. Am besten, man macht sich selbst zur Marke. Denn Starkoch ist nicht gleich Sternekoch. Alfons Schubeck, Tim Raue oder Christian Rach müssen nicht mehr bangen, wenn die nächste Ausgabe der Guides erscheint.

Und es gibt verlockende Alternativen. Wer wirklich passioniert kocht, wer Produkte, handwerkliche Entspannung und Aufregung in der Küche liebt, muss heute nicht mehr in die Spitzengastronomie. Die Vitalität der Regionalküche hat andere erfolgreiche Formeln wie quality fast food oder Gourmet-Suppenküchen kreiert. Ein Shootingstar wie der Slow-Food-Genuss­führer verzichtet demonstrativ auf Benotungen – drin zu sein ist Beweis genug für höchstes regionales Kochbewusstsein.

Sterne kann man nicht zurückgeben. Man kann nur alles tun, um sie in der nächsten Auflage zu verlieren. Entweder indem man sein Restaurant schließt oder umbenennt. Oder indem man sich nicht an die Vorgaben hält, radikal seinen eigenen Weg geht. Es bereichert die Szene und den kulinarischen Alltag, dass sich das immer mehr Jungköche trauen. Das Noma in Kopenhagen, viermal zum weltbesten Restaurant gewählt, hat’s nie zu drei Sternen gebracht. Who cares? 

Peter Peter

Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.

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