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Über die große Leere des mittleren Westens und den Fortgang der amerikanischen Erzählung

»?Amerika verändert sich?«?

Mit Büchern wie „Berlin—Moskau. Eine Reise zu Fuß“ und „Deutschland. Eine Reise“ ist Wolfgang Büscher ein Klassiker der modernen Reiseliteratur. Nun ist er wieder gewandert – mitten durch Amerika. Das Rotary Magazin sprach mit dem Autor über seine Erlebnisse im Herzland der Vereinigten Staaten.

Wolfgang Büscher03.06.2011

Herr Büscher, warum hat es Sie diesmal in die USA verschlagen?

Die Idee ist eigentlich alt. Seit Jahren beschäftigt mich die Vorstellung, dorthin zu fahren und noch einmal neu zu schauen: Wie nah sind wir uns und wie fern? Mit dem Amerika-Buch ist meine kleine Deutschland-Trilogie nun abgeschlossen. Ich bin einmal um Deutschland herum gelaufen und von Berlin nach Moskau, und jetzt durch die USA. Damit habe ich Deutschland und seine prägenden Dimensionen im letzten Jahrhundert abgeschritten.

 

Warum sind Sie von Nord nach Süd gelaufen?

Alle klassischen Wege durch Amerika laufen von Ost nach West, das ist der Zug der Eroberung, der Landnahme, das sind die bekannten Straßen und die bekannten Geschichten, die an ihnen entlang geschrieben worden sind. Ich dachte, wenn ich mich quer dazu bewege, schneide ich all diese historischen Linien und gehe das Land von einer anderen Seite her an. Das fand ich den frischeren Zugang.

 

Zu Beginn Ihres Buches schreiben Sie: „Niemals habe ich ein Land so wohlinformiert, so bildersatt betreten wie dieses“. Dann zerfallen binnen kürzester Zeit diese Bilder. Was stimmt nicht an unseren Amerika-Vorstellungen?

Wenn wir über Amerika sprechen, meinen wir New York und Washington, Los Angeles und Chicago und vielleicht noch die Küste von Florida. Das sind aber nur die Ränder Amerikas. Sein Herzland liegt in den großen Weiten dazwischen. Wenn man Amerika verstehen will, muss man schon dorthin gehen, und nicht in die Gegenden, die für uns Europäer vertrauter sind.

 

Hängt die Zerstörung der vorgefertigten Bilder damit zusammen, dass wir zu sehr von Klischees geprägt sind?

Wahrscheinlich schon. Allerdings habe ich manches Klischee durchaus lebendig angetroffen, zum Beispiel den Pioniergeist. Der ist bisher nicht totzukriegen. Oder die Frage, was ist eigentlich arm, wer ist arm? Ein Amerikaner würde sich so schnell nicht als arm bezeichnen, so lange er zwei gesunde Hände hat und damit etwas anstellen kann.

Andererseits – Sie sprachen den Pioniergeist an – zieht sich eine große Leere wie ein roter Faden durch Ihr Buch: neben der Landschaft auch die Leere vieler Farmen und Städte, die früher einmal geblüht haben.

Wenn man an die Ostküste fährt, erscheint die Idee, dass Amerika leer sei, absurd. Aber wenn man mitten hinein geht, staunt man über diese ungeheure Leere. Ich hatte die ersten Eindrücke davon auf den Winter geschoben, doch auch im Sommer blieben die Straßen, die Farmen, die Städte leer. Man spürt aber noch, dass da vorher etwas war, das zu Ende gegangen ist. Bis vor 130 Jahren zogen riesige Büffelherden durchs Land, hunderte Indianerstämme lebten dort, Millionen Siedler kamen und bewirtschafteten ihre homesteads, riesige Ländereien in europäischen Augen, die heute zum Teil brach liegen.

 

Gleich zu Beginn begegnen Sie jedoch keinem Land der Leere, sondern – in Person einiger Grenzbeamter – einer fast schon paranoiden Gesellschaft. Ist diese Angst etwas Typisches seit dem „War on Terror“?

Ich denke schon, dass es damit zu tun hat, das ist ja nicht nur meine Erfahrung, das erleben viele, die ganz konventionell über einen Flughafen in die USA einreisen. Bei mir war es etwas extremer, weil ich zu Fuß durch die Winterprärie aus Kanada bei einem gottverlassenen Übergang an der Grenze zu Norddakota ankam. Das mobilisierte natürlich die ganze Grenzstation. Ich wurde zwei Stunden scharf verhört, viele Male erkennungsdienstlich behandelt und festgesetzt. Wie gesagt, auch bei normalen Einreisen geht es scharf zu. Manchmal hat man den Eindruck, dass das Land nicht so sehr erpicht darauf ist, Besuch zu bekommen.

 

Schon fast am Ende der Reise stehen Sie in Dallas am Tatort des Kennedy-Attentats. Sie erinnern sich, wie Sie als Kind davon hörten und anfingen, über Amerika nachzudenken: Während der Osten für Düsternis stand, habe der Westen „die Lieder gehabt“. Amerika war für Sie „das sich selbst besingende, forterzählende Land“ – und bräche die amerikanische Erzählung ab, bräche auch Amerika ab. Versiegen nun die Quellen dieser Erzählung?

Das ist schwer zu sagen. Amerika verändert sich. Es gibt die große spanische Zuwanderung und eine Rückwanderung der Schwarzen in den Süden und ein starkes ostasiatisches Element. Die große amerikanische Erzählung lebte von einer gewissen Homogenität der mittel-, nord- und südeuropäischen Zuwanderer, Armuts- oder Freiheitsflüchtlinge aus Europa, aber auch Sektenflüchtlinge. Sie wurde in Hunderten von Western, in Romanen und Liedern dargestellt. Wenn Amerika nicht mehr hauptsächlich das Land dieser Leute ist, dann ist möglicherweise auch die Basis für diese große amerikanische Sage nicht mehr gegeben. Aber dafür, das festzustellen, ist es, glaube ich, noch zu früh.

 

Was hat uns Amerika heute noch zu sagen? Sie erinnern ja daran, dass die Begeisterung hierzulande in der Stunde des Triumphes im Zweiten Weltkrieg einsetzt.

Mein Vater war im Sommer 1945 siebzehn Jahre alt und aus der Kriegsgefangenschaft entlassen worden. Sehr viel später sagte er einmal: „Zu Fuß wäre ich damals nach Amerika gegangen.“ Warum? Weil dieses Land geleuchtet hat, weil es das Land der Sieger war, und weil es mit einer bis dato unbekannten Leichtigkeit daherkam. Sieger, Kaugummi kauend, die die Hände in den Hosentaschen — das war für einen so jungen Kerl nach dem Kriege etwas Staunenswertes.

Im Moment, glaube ich, wird Amerika an sich selbst ein bisschen irre. Die inneren Reiß- und Explosivkräfte sind stark. Am Ende des Vietnam-Krieges gab es vielleicht eine ähnliche Situation. Wenn ich mit Leuten ins Gespräch gekommen bin, habe ich immer gefragt, was sie von Washington und dem Präsidenten halten, etwa von seiner Gesundheitsreform. Ich habe nicht einen getroffen, der das gut findet. Jeden Abend im Motel liefen im Fernsehen die Tea Party-Übertragungen. Das Land kämpft schon sehr mit sich selbst. Und es ist schwer für ein Land, das so sehr mit sich selbst kämpft, die Leuchtkraft nach außen zu haben, die es einmal hatte.

 

Ist Amerika für uns heute ein normales Land?

So weit sind wir noch nicht. Ich glaube, wir leben in einer Übergangszeit. Der amerikanische Stern, der sehr hoch und einzigartig stand am Himmel, der überstrahlt dort nicht mehr alle anderen. Aber er ist auch noch nicht gesunken, wir sind irgendwo dazwischen.

 

Sie verwenden viel Platz für die Erinnerung an Maximilian zu Wied-Neuwied, der als einer der ersten Deutschen durch Amerika gezogen ist.

Der Mann hat mir wirklich gut gefallen. Wieds für einen Reisenden des frühen 19. Jahrhunderts einfach phänomenal. Er hat 1832-1834 eine Expedition den Missouri stromaufwärts unternommen. Das war damals noch wildes Indianerland, da hausten nur ein paar weiße Pelzhändler und Trapper. Wieds Schilderungen sind weder sentimental den Indianern gegenüber, noch überheblich. Vieles, was er an Amerika beschreibt, stimmt heute noch, zum Beispiel die Bauweise der Häuser, ohne Keller und richtige Grundmauern, im Grunde so wie die Indianerzelte, die man jederzeit wieder abbauen kann. Der einzige Punkt bei ihm, der nicht mehr stimmt, ist der Ahistorismus der Amerikaner. Damals scherten sie sich nicht darum, was kurz vor ihnen dort noch gewesen war. Das hat sich völlig verändert. Das Amerika von heute — auch der Westen — ist historistisch wie nie. Jeder Zweite führt Sie in seine Garage und zeigt Ihnen einen Schuhkarton voll selbst gesammelter indianischer Pfeilspitzen. Wirklich überall, wo mal ein Treck durchgezogen ist oder ein Pionier ein Lagerfeuer gemacht hat, finden Sie einen „historical marker“. Der Wunsch, auch eine Geschichte zu haben und diese ganz fest zu halten und zu erzählen, ist übergroß. Die Stärke der einstigen landnehmenden Pioniernation war ja immer, keine Geschichte zu haben und statt dessen zu sagen, wir sind die, die Geschichte machen. Nach zweihundert Jahren haben die Amerikaner nun auch eine Vergangenheit. Dieses sich selbst historisch werdende Amerika ist ein Akt der Normalisierung, aber eben auch des Verblassens.

 

Wolfgang Büscher ist Redakteur des Ressorts „Dossier“ der Wochenzeitung „Die Zeit“. Das Buch über seine Wanderung durch Amerika ist soeben bei Rowohlt erschienen.

 

Hartland.

Zu Fuß durch Amerika

Rowohlt Berlin,

304 Seiten,

19,95 Euro

ISBN 978-3-87134-685-9

Wolfgang Büscher
Wolfgang Büscher ist Journalist und  Er schrieb viele Jahre für Tageszeitungen wie die Süddeutsche Zeitung, Die Zeit und die F.A.Z.  Außerdem veröffentlichte er zahlreiche Bücher, u.a. "Acht deutsche Sommer" (mit Christine Kensche und Uwe Schmitt). Rowohlt ,Berlin 2016.