https://rotary.de/gesellschaft/mehr-chancen-als-risiken-a-21699.html
Titelthema

Mehr Chancen als Risiken

Titelthema - Mehr Chancen als Risiken
Frontales_Porträt_des_freundlich_ schauenden_Albert_Einstein_ als_Astronaut_im_Astronautenhelm_Hintergrund_hellblau © Midjourney/Cyprian Lothringer

Sprachdialogsysteme bieten Schülern ein enormes Potenzial für Exploration, Vertiefung, Kombination und personalisierte Unterstützung beim Lernen.

Enkelejda Kasneci 01.04.2023

ChatGPT und ähnliche Systeme basieren auf einer künstlichen Intelligenz, einem sogenannten Sprachmodell, das in der Lage ist, menschenähnliche Konversationen zu führen und Fragen zu beantworten. Solche Sprachmodelle werden auf großen Mengen von Textdaten aus verschiedenen Quellen entwickelt. Im Vergleich dazu ist es für einen Menschen nicht möglich, im Laufe seines Lebens auch nur einen Bruchteil dieser Textmenge zu lesen.

Daher ist das Potenzial von ChatGPT im Bildungsbereich enorm. Zum Beispiel können Schülerinnen und Schüler, die Leseschwächen oder Schwierigkeiten beim Verständnis eines mathematischen Konzepts haben, durch ChatGPT eine vereinfachte Darstellung und Zusammenfassung eines komplexen Texts bekommen. „Leave no one behind“ ist auch und vor allem im Rahmen der Digitalisierung sehr ernst zu nehmen und kann durch große Sprachmodelle wie ChatGPT und in Kombination mit anderen technischen Lösungen ermöglicht werden.

Die Vorteile des Einsatzes von ChatGPT im Lernkontext liegen auf der Hand. So kann das System unterstützend verwendet werden, den Unterricht zu vertiefen und zu erweitern, indem es Schülerinnen und Schülern ermöglicht, weitere Informationen zu einem bestimmten Thema zu recherchieren und so ein umfassenderes Verständnis zu erlangen. Zum Beispiel könnten Schülerinnen und Schüler in einer Geschichtsklasse ChatGPT verwenden, um zusätzliche Informationen über ein historisches Ereignis oder eine Persönlichkeit zu erhalten, die in der Klasse diskutiert wurde. Die erhaltenen Informationen müssen selbstverständlich kritisch überprüft und mit weiteren zuverlässigen Quellen abgeglichen werden, was aber insgesamt dazu führt, dass Schülerinnen und Schüler ihre Recherchefähigkeiten und das kritische Denken, aber auch die Kenntnisse über die Grenzen von KI weiter ausbauen.

Der Ausbau dieser Fähigkeiten muss aber auch unterrichtsseitig durch strukturierte Lehrpläne rund um den Einsatz künstlicher Intelligenz gefördert werden. Entsprechende schulische Aufgaben sollten auf Recherche, Überprüfung und Konsolidierung von Informationen abzielen. Das ganzheitliche reflektierte Lernen kann also mithilfe solcher Sprachmodelle gefördert und ausgebaut werden. Zum Beispiel kann ChatGPT Schülerinnen und Schülern dabei helfen, verschiedene Themen und Konzepte zu kombinieren, um so ein ganzheitlicheres Verständnis zu erlangen. Natürlich wird vieles an Schreibarbeit von der Maschine übernommen, aber Lernende können, wenn sie durch geeignete Aufgaben gefördert werden, sowohl die Rechtschreibung und Ausdrucksform als auch das übergreifende Wissen zu Unterrichtsthemen verbessern. Beispielsweise könnte eine Schülerin oder ein Schüler bei einem Aufsatz über einen bestimmten Autor ChatGPT verwenden, um zusätzliche Informationen über die historische Epoche oder den literarischen Stil des Autors zu erhalten, um in der Interaktion mit der KI die Arbeit zu verbessern. Das Programm kann auch dazu beitragen, den Unterricht interaktiver und ansprechender zu gestalten, indem es Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit gibt, Fragen zu stellen und Antworten zu erhalten, die auf ihre spezifischen Bedürfnisse zugeschnitten sind. Insgesamt bietet ChatGPT ein enormes Potenzial für Exploration, Vertiefung, Kombination und personalisierte Unterstützung beim Lernen.

Verlernen Schüler das Denken?

Trotz dieser Vorteile, die KI-Systeme im Lernkontext bieten, gibt es noch eine ganze Reihe von Herausforderungen, die bei ihrer Nutzung berücksichtigt werden sollten. Einer der größten Nachteile ist die Gefahr, dass Lernende ChatGPT als Ersatz für eigene Denkleistung sehen könnten. Wenn Lernende sich ausschließlich auf ChatGPT verlassen, um Antworten auf Fragen zu erhalten, könnten sie Schwierigkeiten haben, selbstständig zu denken und eigene Lösungen zu finden.

Hinzu kommt die Herausforderung, dass ChatGPT nicht immer genaue oder vollständige Informationen liefern kann. Das System ist darauf programmiert, auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Daten Antworten zu generieren. Wenn die Daten unvollständig oder fehlerhaft sind, kann ChatGPT eben auch unvollständige oder fehlerhafte Antworten geben. Um diese Nachteile zu umgehen, gibt es einige Vorkehrungen oder Strategien, die Lehrkräfte ergreifen können. Eine Möglichkeit besteht beispielsweise darin, Prüfungsformen und Leistungsabfragen so anzupassen, dass sie vorwiegend das Verständnis von Themen prüfen. Ein weiterer Ansatz könnte darin bestehen, ChatGPT nur als unterstützendes Werkzeug zu verwenden, anstatt es als alleinige Wissensquelle im Unterricht zu integrieren. Durch die Verwendung von ChatGPT als ergänzendes Werkzeug können Schülerinnen und Schüler ihre eigenen Denkleistungen nutzen, um Fragen zu beantworten, bevor sie die KI zur Unterstützung heranziehen. Besonders angesichts des zunehmenden Einsatzes von KI-Systemen ist es wichtig, kritisches Denken zu fördern. Lehrkräfte sollten den Schülerinnen und Schülern beibringen, wie sie Informationen kritisch hinterfragen und bewerten können. Vor dem Hintergrund der aktuellen Fake-News-Problematik, die durch den Einsatz generativer KI-Systeme noch weiter verstärkt wird, ist die Entwicklung kritischer Denkfähigkeiten von entscheidender Bedeutung. Dazu gehört beispielsweise das Überprüfen von Informationen durch die Nutzung mehrerer Quellen, um ihren Wahrheitsgehalt sicherzustellen. Diese Fähigkeiten sind notwendige Zukunfts-Skills in einer zunehmend digitalisierten Welt.

Vorsicht vor KI-generierten Fake-News

Ein zu starker Fokus auf personalisiertes Lernen birgt zudem generell die Gefahr des Rückgangs sozialer Interaktionen beim Lernen. Wenn Schülerinnen und Schüler zu sehr auf ChatGPT als Quelle für Antworten angewiesen sind, könnten sie weniger miteinander und mit den Lehrkräften interagieren, um zu diskutieren und zu lernen. Letztendlich ist das Lernen aber ein sozialer Prozess und sollte in Interaktion mit der Lehrkraft und mit anderen Lernenden stattfinden, um soziale Kompetenzen und Fähigkeiten zu entwickeln. Es ist daher im Lernkontext wichtig, einen ausgewogenen Ansatz zu verfolgen, der personalisiertes Lernen nutzt, aber auch den Austausch und die Zusammenarbeit zwischen den Schülerinnen und Schülern sowie mit der Lehrkraft fördert.

Insgesamt kann ChatGPT im Unterricht eine wertvolle Ressource sein, aber es sollte mit Bedacht und in Kombination mit anderen Lehrmethoden eingesetzt werden, um sicherzustellen, dass Schülerinnen und Schüler ihre eigenen kognitiven Fähigkeiten verbessern und nicht davon abhängig werden. In Anbetracht der vielen Chancen, die ChatGPT im Lernkontext bietet, wäre es daher unverantwortlich, diese Ressource einfach zu ignorieren. Das Dialogsystem kann als ein wertvolles Werkzeug in der modernen Bildung eingesetzt werden, um den Lernenden zu helfen, ihre Kenntnisse und Fähigkeiten zu verbessern und ihre Lernprozesse effektiver zu gestalten. Letztendlich liegt es an den Lehrkräften, ChatGPT auf eine sinnvolle und verantwortungsvolle Weise im Unterricht zu nutzen, um das Beste daraus zu machen.


Künstliche Intelligenz schafft auch Bilder, die oft mit der Realität wenig zu tun haben. Sehen Sie hier, was der Bildergenerator Midjourney uns noch für Bilder zum Thema KI zusammengestellt hat:

2023, ai, künstliche intelligenz, bilderserie
BILDERSERIE - KLICKEN SIE AUF DAS FOTO!
Enkelejda Kasneci
Enkelejda Kasneci ist Direktorin des TUM Center for Educational Technologies und Liesel Beckmann Distinguished Professor für Human-Centered Technologies for Learning an der TU München. Sie beschäftigt sich mit dem Einsatz von KI in der Bildung.

© Astrid Eckert