Rotary und Diktaturen

Zoom machte es möglich: Am 13. Januar trafen sich Rotarier aus mehr als 15 der 88 Rotary Clubs aus allen Teilen Polens zu einem Vortrag mit deutschen Rotariern. Hermann Schäfer und Wilfried Gehart von der Forschungsgruppe Rotary-Geschichte referierten über "Rotary and Dictatorship. A painful past – the question of the third guilt". Eingeladen hatte dazu der Präsident des RC Warschau-Goethe, Alexander Heinelt. Weltpräsident Knaack hatte kurzfristig absagen müssen, wünschte aber "viel Erfolg bei dem virtuellen Treffen". Anwesend waren unter anderen auch der Governor des Distrikts 2231, Janusz Kozinski, und der Vorsitzende des polnischen Rotary Committee on History, Aleksander Szwarc vom RC Kolobrzeg. Sein besonderes Interesse: Vorbereitung der 90-Jahr-Feier der Gründung des ersten polnischen Clubs in Warschau 1931. Geplant sind unter anderem eine Buchveröffentlichung und eine Ausstellung.

Die Geschichte von Rotary Polen hatte zwei Phasen:

• Zwischen 1930 und1939 hatten sich zehn Clubs mit insgesamt 269 Mitgliedern gebildet. Der größte war Warschau (Charter 19. März 1931) mit beeindruckenden 74 Mitgliedern. Die Gründung musste damals gegen den erbitterten Widerstand der katholischen Kirche durchgesetzt werden: Sie verlangte von der polnischen Regierung ein komplettes Verbot von Rotary, weil die Mehrzahl der Gründungsmitglieder Freimaurer war. Freimaurer wurden schon seit Jahrhunderten vom Vatikan exkommuniziert. Die polnische Regierung lehnte ab, und so entstanden nach Warschau in den folgenden Jahren Rotary Clubs in Krakau, Lodz, Katowice und weiteren Städten. Nach der Besetzung durch deutsche Truppen wurden alle Rotary Clubs verboten. Die Charter endeten für alle am 10. Oktober 1940. Die Archiv-Lage für diese Zeit ist offenbar schwierig.
• Nach 1989 erlebte Rotary einen stürmisch-dynamischen Wiederaufstieg: Innerhalb eines Jahrzehnts wurden 50 Clubs gegründet, im Jahrzehnt danach weitere 25 und seither weitere 18. Insgesamt verzeichnet Rotary heute 88 Clubs mit 1.650 Mitgliedern. Die Hälfte der Clubs hat Partnerschaften mit deutschen Clubs. Legendär ist bis heute die große Distriktkonferenz in Lübeck 1995 mit fast 1.000 Teilnehmern, zu der auf Initiative des damaligen Governors Rudolf Hilker aus jedem polnischen Club zwei Ehepaare, ferner 60 junge Polen als Gäste eingeladen worden waren.

Die Vortragenden führten die polnischen Freunde im Schnelldurchgang durch die deutsche Rotary-Geschichte der dreißiger Jahre: vollständiger Ausschluss einer Gruppe von über 200 Freunden, zwei Drittel von ihnen mit jüdischem Hintergrund, ein Drittel Missliebige wie beispielsweise Thomas Mann oder Konrad Adenauer; 300 weitere, die ihre Clubs aus Protest gegen die antisemitischen Entscheidungen oder aus Angst um die eigene weitere Karriere verließen. Woher die zurückhaltende Nichteinmischungspolitik von Rotary International während der Nazizeit rührte, ist immer noch eine offene Frage. Auf großes Interesse stießen die Schilderungen der mühsamen Aufarbeitung der NS-Vergangenheit von Rotary Deutschland, bis hin zum Auftritt der Forschungsgruppe bei der World Convention in Hamburg.

Der Webauftritt memorial-rotary.de und der erhebliche Aufwand für seine Pflege und Erweiterung führten zu mehreren Nachfragen. Wie stark die polnischen Freundinnen und Freunde sich für den Vortrag interessierten, zeigte sich bald am rasch anschwellenden "Chat" mit vielen Fragen, unter anderem:

• Gab es in den dreißiger Jahren Kontakte zwischen deutschen und polnischen Clubs?
• Wie viele deutsche Rotarier waren Mitglieder der NSDAP?
• Gab es Rotarier im deutschen Widerstand gegen Hitler?
• Haben Rotary Clubs nach der erzwungenen Auflösung 1937 "heimlich" weitergemacht?
• Hat nach dem Ende des Krieges und der Wiedergründung der deutschen Clubs eine Versöhnung mit den diskriminierten Rotariern der Nazizeit stattgefunden?
• Wie soll/kann Rotary International sich heute zur Unterstützung von Rotary Clubs in autoritären Ländern verhalten?

Die Reaktionen nach dem Vortrag waren freundschaftlich, aufgeschlossen und ausschließlich positiv (siehe Kasten, bewusst im Original gelassen).

Am Schluss der Diskussion wurde eine Unterstützung der polnischen historischen Forschungsarbeiten vereinbart. Nachgedacht werden soll mit den polnischen Freundinnen und Freunden auch darüber, ob polnische rotarische Opfer des deutschen Krieges mit in das "Digital Memorial" der deutschen Forschungsgruppe Rotary-Geschichte (memorial-rotary.de) aufgenommen werden.

Kurt-Jürgen Maaß
RC Stuttgart-Wildpark

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Vielfältige Reaktionen

• "Thank you very much for this illuminating presentation. Civil courage is never ceasing to be important – after all those years this is also a lesson to be learned from your project. Thank you for keeping on track."
• "It is not easy to talk about 'uncomfortable' facts. I really appreciate that there are people brave enough to fight for the truth."
• "Very interesting facts, not easy to hear and accept them but it's always the truth which will win."
• "It is good to show that Rotary in difficult times can be very different from what we usually are today – in free countries. I wonder if there are more 'black spots' in our history which are just not told today…"
• "Imagine what an interesting book it would be if we all joined forces, searched through all archives and wrote down the history of Rotary during the Second World War and afterwards. I believe it was really hard for German Rotarians to rebuild the organization, such hard work. Respect for all the nation for facing the history and what comes from it."

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Lesen Sie auch, was die Rhein-Neckar-Zeitung dazu schrieb: https://www.rnz.de/nachrichten/mannheim_artikel,-mannheim-marchivum-arbeitet-geschichte-des-rotary-clubs-zwischen-1930-und-1950-auf-_arid,635533.html