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Schatzkammer des Geistes

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Zur Ansicht weiterer Exemplare bitte Foto klicken. © DLA-Marbach / Jens Tremmel

Die Bibliothek Karl Wolfskehls war einzigartig und legendär. Ihr Schicksal spiegelt das Drama ihres Schöpfers wider.

Caroline Jessen01.07.2018

Die Bibliothek des „großen Bücherkundigen und Bücherliebenden“ Karl Wolfskehl, in der Volkslieder und Barock-Bücher auf Clemens von Brentano und Novalis, aber auch auf Oswald Spengler und Martin Buber trafen, musste der Dichter nach der Flucht aus Nazideutschland veräußern. Sie war auf dem Gut seiner Frau bei Freiburg zurückgeblieben, während Wolfskehl sich um die Emigration aus dem faschistischen Italien nach Neuseeland bemühte.

Heute finden sich Wolfskehls Bücher verstreut über die ganze Welt, in Forschungsbibliotheken und Privatbesitz. Nur wenige Bücher begleiteten ihn 1938 ins südpazifische Exil und wurden zum Grundstock einer neuen, bescheideneren Sammlung. Die verkauften und bewahrten Bücher erzählen von Darmstädter Familiengeschichten, Schwabinger Maskenfesten, Fluchtwegen aus Nazideutschland, Bücherfunden im südpazifischen Exil und zwiespältigen Bietergefechten in Hamburg.

Die Umstände der Besitzer- und Ortswechsel dieser Bibliothek sind kompliziert. Der Dichter verkaufte sie 1937 an seinen Verleger, den jüdischen Unternehmer und Mäzen Salman Schocken. Dieser war selbst Sammler, wollte seinen Autor aber auch unterstützen und die finanziellen Voraussetzungen für dessen Weiterarbeit schaffen, ohne Almosen zu spenden. Der Handel erlaubte den geschlossenen Erhalt dieser einzigartigen Sammlung, die Wolfskehl 1910 der Königlichen Hof- und Landesbibliothek Darmstadt hatte vererben wollen. Zugleich markierte
der Entschluss zum Verkauf für den Dichter einen biographischen Einschnitt und Abschluss, einen Point of no return. Die Bibliothek dokumentierte mit Korrekturexemplaren seiner Gedichtbände, von ihm herausgegebenen Anthologien, aber auch den  unter seiner Federführung erschienenen Heften des Rotariers und Büchergaben befreundeter Autoren eine Zugehörigkeit, die 1935 durch die Nürnberger Gesetze aufgekündigt worden war. Die Sammlung wurde nach Jerusalem transferiert, dort über 35 Jahre als eine Art Denkmal bewahrt und schließlich 1975 von den Erben Schockens in spektakulären Versteigerungen in Hamburg veräußert.

 

Trennung vom alten Leben

Wolfskehl trennte sich 1937 von einem Überlieferungszusammenhang, der für Jahrzehnte sein eigentliches Habitat gewesen war. Lediglich die Publikationen aus dem Kreis der Mitarbeiter der Blätter für die Kunst, die Werke Johann Jakob Bachofens und Lazarus Geigers sollten vom Verkauf ausgeschlossen bleiben. Nicht veräußert wurde zudem all das, was Wolfskehl aus München und der Schweiz mitgenommen oder in Italien an Buchgeschenken, Antiquariatsfunden und Neuerscheinungen angesammelt hatte. Der Autor trennte sich bis auf wenige Überbleibsel persönlicher Beziehungen von all dem, was ihn noch mit Deutschland verband. Er hoffte dadurch auch seine zurückgebliebene Familie abzusichern. Seine Frau, Hanna Wolfskehl, musste allerdings später in Deutschland erklären, für etwaige Steuerschulden ihres Mannes aufzukommen. Ähnlich erging es nicht wenigen jüdischen Sammlern mit ihrem Besitz nach 1933.

Die Beschaffenheit der Bibliothek Wolfskehls ist jedoch besonders – dies betrifft die Reichweite der persönlichen Beziehungen, die sich in ihr abbildet, wie auch die große Zahl entlegener und ephemerer Drucke. Wolfskehls Bibliothek umfasste neben den großen Abteilungen zu Romantik, Klassik und Gegenwartsliteratur in Erstausgaben und Drucken illustrer Vorbesitzer eine große Sammlung religiöser Lieder, die vom 16. ins 20. Jahrhundert führte, alte Predigten, Grabreden, Bücher zu Magie und Aberglauben, zu alten Maschinen und Freimaurerei, aber auch hebräisch-deutsche Gebetbücher neben pseudo-jiddischen Antisemitica, arabischen Handschriften sowie nicht zuletzt Rezeptsammlungen für Arzneien und Gerichte in deutscher, italienischer und französischer Sprache.

Die Bibliothek war keine germanistische Spezialsammlung, auch wenn sie einen Forschungsapparat in sich einschloss. Ihre Ränder fransten aus, sie war zugleich Archiv eines umtriebigen Lebens. Sie umfasste die Bücher befreundeter Autorinnen und Autoren sowie all das, was Wolfskehl selbst schrieb oder herausgab. Die Buchgeschenke für ihn spannen einen Bogen von Walter Benjamin über Ricarda Huch, Else Lasker-Schüler, Theodor Lessing, Albert Schweitzer und Oswald Spengler bis hin zu Kurt Wolff und Abraham Schalom Yahuda, versammeln Münchner Sammler wie Anton Pachinger, Privatgelehrte wie Paul Hensel und Kenner wie den späteren Nazi Ernst Schulte-Strathaus. Die Bibliothek ist der einzige Ort, an dem der Okkultist Alistair Crowley, Redakteure der Münchner Neuesten Nachrichten, der Darmstädter Rabbiner David Selver und der Münchner Verleger Oskar Beck – vertreten durch persönliche Widmungen und den Büchern eingelegte Briefe – zusammenfanden. Wertvoll waren für Wolfskehl in diesen Fällen zuweilen weniger die Drucke als vielmehr die Erinnerungen, die sich mit den Gaben verbanden.

 

Von den Freunden enttäuscht

Nur einzelne Bände erinnern an Wolfskehls Arbeit für den Münchner Rotary Club und an befreundete Rotarier wie Emil Preetorius. Da der schnöde Rausschmiss aus dem Kreis der Rotarier für Wolfskehl durch das Mittun seines Freundes zum symbolischen Akt wurde, sei die autobiographische und historische Dimension des Buchbesitzes anhand einer Publikation, die Preetorius Wolfskehl nach dem Holocaust nach Neuseeland schickte, kurz illustriert.

Im Dezember 1946 schrieb der vor dem Regimewechsel eng mit Wolfskehl befreundete Graphikkünstler nach zehn Jahren zum ersten Mal wieder an Karl Wolfskehl: „Kein Wort zu mir, lieber, liebster, vertrautester all meiner Freunde? Wie ist das, kann das sein?“ Dieser rang sich am Ende der Welt seine Antwort ab: „Du, wie soll ich Dich anreden?“ – Preetorius hatte schließlich 1933 die Freundschaft verraten und nicht widersprochen, als der Rotary Club im Jahr der Machtübernahme Hitlers beschlossen hatte, Karl Wolfskehl aus seinem Kreis auszuschließen. Der Kontrast zu den innigen Liebeserklärungen, die alle Briefe des Buchkünstlers und Bühnengestalters aus den Jahren davor durchziehen, könnte nicht größer sein.

Wolfskehl nannte den szenischen Leiter Hitler-Bayreuths 1946 zwar einen „eiskalten Doppelzüngler“, der ihn „auch persönlich zweimal betrogen“ habe, lenkte aber schon bald danach ein. Schon im ersten Brief aus Auckland 1947 stand neben der Erinnerung an den Verrat und dem Wissen um alles Unüberbrückbare das Vertrauen in die Beziehung: „Aber es ist wahr, ich habe Dich lieb.“ Die beiden verband zu viel und gewiss war: „Man kann doch auch nicht dauernd heroisch ablehnen.“ Auch dem Ex-Rotarier Thomas Mann fiel die Auseinandersetzung mit dem gespenstisch egozentrischen Nachkriegsmünchen nicht leicht. Wolfskehl erkannte wie er bei aller Konzilianz jedoch die Abgründe der Betriebsamkeit von Preetorius nach 1945. Wolfskehls Festhalten an Preetorius rückte die Untreue des Freundes durch die eigene Treue in grelles Licht.

 

Die Kränkung blieb

Und die Freundschaftsformeln, mit denen sich der Münchner, der 1948 zum Präsidenten der Bayrischen Akademie der Schönen Künste avancierte, in Geldsendungen, Briefen und Widmungen rehabilitierte, heben das nicht auf. Die Widmung – „K.W. dem Freund aller Freunde in Liebe & Bewunderung“ – der kleinen Schrift Weltbild und Weltgehalt, mit der Preetorius sich 1947, wieder einmal mit der Zeit gehend, zur abstrakten Kunst äußerte, erzählt davon. Der beiliegende Brief macht den Band aber überdies zum Erinnerungszeichen an die rasche Wiederherstellung einer intellektuellen und künstlerischen Szene, die ihren Anteil an der deutschen Zerstörung kleinredete und zugleich die Lücken füllte, die Emigranten, Geflüchtete und Ermordete hinterlassen hatten.

Wolfskehl hielt Preetorius die Treue, auch wenn er nach dem Verlust seiner Bibliothek – trotz der Streifzüge durch die neuseeländischen Bibliotheken und neue, englischsprachige Bucherwerbungen – vom literarischen Leben in Deutschland und der Möglichkeit, selbst an ihm mitzuwirken, abgeschnitten blieb: „Unvergeßlich”, so erinnerte sich der ebenfalls nach Neuseeland geflüchtete Wiener Paul Hoffmann, der dem fast blinden Wolfskehl in Auckland oft vorlas, „wie er in den späten Jahren des Exils, nur noch die karge Liste seiner Bücher zur Hand, nach Stichworten im Gespräch Band für Band mit seinen Besonderheiten und Sonderlichkeiten, aus der lebendigen Erinnerung die verlorene Bibliothek rekonstruiert hat.”


 Buchtipp: Drama einer Sammlung

Als Karl Wolfskehl 1933 Deutschland verließ, musste er seine vielgerühmte Bibliothek, in der Volkslieder und Barock auf Brentano und Novalis, Spengler und Buber trafen, veräußern. Dieses Buch zeichnet die Wege der Bücher von München über Jerusalem bis Auckland nach, fragt nach den Umständen des Verkaufs und dem Nachleben der heute zerstreuten Bibliothek.

Caroline Jessen. Der Sammler Karl Wolfskehl, Jüdischer Verlag, 220 Seiten, 26,- Euro. Das Buch erscheint im November 2018.

Caroline Jessen

Caroline Jessen ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Deutschen
Literaturarchiv Marbach und beim Forschungsverbund Marbach Weimar Wolfenbüttel.

 

www.dla-marbach.de