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Deutsche Messen auf Expansionskurs

Das Jahr 2017 lief prima für die deutschen Messestandorte. Und das nicht nur im eigenen Land. Längst werden die erfolgreichsten Formate exportiert

Stephanie Hochberg01.01.2018

Irgendetwas passiert immer. Zwar kommt Bundeskanzlerin Angela Merkel Jahr für Jahr zur Eröffnung der Industriemesse nach Hannover, macht einen Rundgang mit dem Regierungschef des Partnerlandes, redet über freien Welthandel und schaut bei den deutschen Industrieunternehmen vorbei. Doch Routine ist bei dem Pflichtbesuch bisher nicht aufgekommen. Dazu ist der Fortschritt in der Industrie zu dynamisch, und die Firmen lassen sich eine Menge einfallen, um die Kanzlerin ein paar Minuten länger an ihrem Stand zu halten, als vorgesehen. In diesem Jahr schoss Siemens-Chef Joe Kaeser den Vogel ab. Er druckte sich die Kanzlerin im 3D-Drucker einfach selbst – und reichte das Modell an die ziemlich überraschte Angela Merkel weiter.

Mehr als 6500 Aussteller aus über 70 Nationen kamen in diesem Jahr zur weltgrößten Industriemesse nach Hannover. Der Erfolg aus dem Vorjahr, als der damalige Präsident Barack Obama anreiste, halle noch nach, meinte Jochen Köckler, neuer Vorsitzender des Vorstandes der Deutschen Messe. Insgesamt drängten sich an den fünf Veranstaltungstagen über 225.000 Besucher auf dem Messegelände. Zahllose Events wie Podiumsdiskussionen, Keynotes aus der Gründerszene, Foren,  Pressekonferenzen, Präsentationen, Guided Tours und Messepartys begleiteten die Ausstellung von Produktion und IT und lieferten den notwendigen Rahmen für Kommunikation, Kontakte und Wissensaustausch. 

Wie der Industriemesse geht es vielen dieser Veranstaltungen: Je digitaler die Welt wird, desto größer wird offenbar auch das Bedürfnis, sich analog zu treffen und auszutauschen. Die Besucher werden in dieser Hinsicht anspruchsvoller. Sie kommen nur dann gern, wenn die Veranstaltung eine Leitmesse der Branche ist. Messen ohne begleitenden Kongress, Fachforen oder Konferenzen sind kaum noch denkbar, Veranstalter ohne eigenes Programm ebenso wenig. 

Und: Die Messegesellschaften selbst sind internationale Marken geworden. Wer in Hannover eine Industriemesse kann, wird es ja wohl auch in den USA schaffen, eine aufzubauen. Wer in Nürnberg die weltgrößte Ausstellung zu Bio- und veganen Produkten organisiert, sollte das auch in China zustande bringen. So wird der Erfolg in Deutschland auf den dynamischen Märkten in Asien wiederholt. 

Und die Branche floriert. Auf der CeBIT 2017 präsentierten sich nicht nur über 350 internationale Startups auf der Suche nach Kunden, Kontakten und Kapital. Auch die Manager etablierter Konzerne legten die Krawatten ab und suchten die Nähe des digitalen Ökosystems. Die Deutsche Bahn präsentierte sich als digitaler Mobiliätskonzern. Der konservative  Bundesverband Deutscher Banken suchte mit einem Konferenzprogramm das Gespräch mit den hippen Fintechs, die den Banken in Zukunft das Geschäft vermiesen wollen.

Nicht nur in Hannover ist die Cebit nach Jahren der Krise eine der großen Leitmessen geblieben. Auch in Australien kommt man wieder gern unter dem Cebit-Label zur Messe, um die Digitalisierung zu feiern – und um die Konkurrenz im Auge zu behalten. Im kommenden Jahr wird die Computermesse ihre Thailand-Premiere feiern. Die Cebit profitiert von demselben Trend wie die anderen großen Leitmessen: Hier werden nicht nur internationale Produktinnovationen präsentiert, sondern hochkarätige Vorträge gehalten und wegweisende Begegnungen angebahnt. Der Mensch als Entscheider und Gestalter der Digitalisierung bleibt immer noch ein soziales Wesen. Er trifft sich gern mit anderen Menschen, und knüpft persönliche Kontakte. Das ist in Hannover nicht anders als in Sydney.

Allerdings nur dann, wenn es sich für ihn lohnt. Ein- bis zweistellige Millionenbeträge investieren Unternehmen, wenn sie auf die großen Leitmessen ihrer Branchen gehen. Sie bauen doppelstöckige Bungalows in die Messehallen, legen Teppichboden aus, investieren in Soundtechnik und Virtual Reality. Ein mittleres Einfamilienhaus wirkt gegen die Potemkinschen Fassaden auf den globalen Messen manchmal wie eine Hundehütte. Klar: Das Geld muss durch eine Ausweitung des internationalen Marktes in Form von Aufträgen, Kundenbindung und KnowHow wieder hereinkommen.

"Unsere internationalen Leitmessen stehen hervorragend im Markt. Wir haben das Profil unserer Veranstaltungen in den vergangenen Jahren immer weiter geschärft, sie noch spitzer positioniert und so dafür gesorgt, dass ihre Bedeutung besonders in Zeiten der Globalisierung und Digitalisierung kontinuierlich zunimmt", sagte Messe-Chef Köckler. Mit einem Umsatz von 63 Millionen Euro haben die Auslandsmessen der Hannoveraner einen wesentlichen Anteil am Gesamtumsatz 2017. Sie ist inzwischen mit 60 Ablegern im Ausland unterwegs, im kommenden Jahr soll auch das Flaggschiff, die Industriemesse, einen Ableger in Chicago bekommen. In Südostasien debütierte dieses Jahr die Intralogistikmesse Cemat, die erstmals in Indonesien stattfand. Mit 34 000 belegten Quadratmetern brach die Premiere der North American Commercial Vehicle Show in Atlanta den Rekord. 

Auch junge Messeformate sind im Aufwind, die sehr früh den Trend erkannt haben: Wie die Biofach in Nürnberg: Die inzwischen größte Leitmesse für Bio-Lebensmittel und Naturkosmetik startete 1990 ganz bescheiden in der Stadthalle von Ludwigshafen. Biodynamisch produzierte Lebensmittel waren noch ein echtes Randgruppenprogramm. Niemand konnte sich vorstellen, dass Bio zum Mainstream, vegan zu einem Trend in der jungen urbanen Bevölkerung werden könnte. Doch schon nach kurzer Zeit expandierte man. Inzwischen zeigen über 2785 Aussteller aus 87 Ländern ihre Erzeugnisse von Getreideflocken bis Bio-Männerkosmetik.

Auf dem parallel stattfindenden Kongress werden nicht nur alle Themen der Bio-Welt verhandelt – hier wird Landwirtschaftspolitik gemacht. Wer Teil des Nachhaltigkeits-Diskurses sein will, muss im Februar nach Nürnberg: um zu hören, riechen, sehen, schmecken und zu fühlen.  Oder demnächst nach Bangkok. Denn da wird die thailändische Organic & Natural Expo ab kommendem Jahr unter der Marke Biofach stattfinden. Die Nürnberger wollen in Bangkok Händler und Abnehmer in ganz Südostasien ansprechen. Die Region umfasst rund 600 Millionen Einwohner und verfügt über eine schnell wachsende und konsumfreudige Mittelschicht. 

Auch die Entwicklung der NürnbergMesse in China ist beispielhaft: "Für 2017 werden über 1200 Aussteller und bis zu 60.000 Fachbesucher auf unseren Veranstaltungen in China erwartet. Gebucht sind mehr als 26.000 Quadratmeter Nettofläche", so  Roland Fleck, CEO der NürnbergMesse Group.

Internationalisierung und Digitalisierung sind die prägenden Kräfte. Doch sind auch alle möglichen Mischformen, wie Trend- und Tradeshows, digitale Festivals und Digitalkonferenzen auf dem internationalen Sprung. Unkonventionell müssen sie sein. Atmosphäre, Emotionen und natürlich die Konferenzorte spielen eine zentrale Rolle.

Fast 500 Stunden Programm
Wie bei der Berliner Re:publica und Media Convention im Mai 2017 in Berlin. 9000 Besucher, 1000 internationale "Speaker" aus 70 Ländern, fast 500 Stunden Programm und Abschluss-Party mit Feuerwerk in einem alten Postbahnhof nebst angeschlossenem stillgelegtem Kühlhaus – so funktionieren Treffen der digitalen Szene.  Unter dem Motto "Love out loud" drehte sich die Debatte der vielen namhaften Netzaktivisten, Blogger, Journalisten, Wissenschaftler, Politiker und Künstler um alle Facetten der digitalen Gesellschaft: Künstliche Intelligenz, die Macht der Algorithmen und den digitalen Wahlkampf, Big Data und Datenschutz und natürlich immer wieder Fake News oder Hass im Netz. Weitere Ableger wird es in Thessaloniki und Dublin geben. Kein Zweifel: Die re:publica ist inzwischen eines der wichtigsten internationalen Festivals der digitalen Gesellschaft. 

Wer aber die Kombination aus internationaler Leitmesse, Branchentreff und Fachkongress nicht hinbekommt, muss andere Wege gehen: Wie die Bread and Butter in Berlin. Sie war 2001 als Modemesse für Straßenbekleidung gestartet und sollte gemeinsam mit der Berlin Fashion Week den großen Modestädten Paris und Mailand das Wasser abgraben. Das klappte nicht. Trotz unterschiedlichster Rettungsmaßnahmen musste man Insolvenz anmelden. Schließlich wurde das Format verkauft, ausgerechnet an den Modehändler Zalando.

Der krempelte es zu einem internationalen Lifestyle- und Musikerlebnis für die breite Öffentlichkeit um, mit Musik, angesagten Food-Trends, Shopping, und Aftershow-Partys. Das Marketing-Kalkül: Wer die Show gut findet, teilt die Bilder auf Instagram, chattet mit Freunden auf Whatsapp und Snapchat und trägt so die neuen Styles über den Globus. In diesem Jahr kamen 30.000 Besucher, 70 Prozent davon aus dem Ausland, insbesondere aus Japan. Aus den 15 Märkten, in denen Zalando rund um die Welt präsent ist, ließ man Influencer einfliegen, um die frohe Botschaft dieser Trendmesse über die Kontinente zu bloggen. 

Neue Universalmessen
Eine neue Kombination von sozialen Medien und Modeeinkauf. Mit Erfolg: Die Zahl der Brands, die sich auf dem Veranstaltungsgelände Arena im Berliner Osten präsentierten, konnte auf 50 verdoppelt werden, darunter die großen Messemarken Adidas, Converse, Fila, Nike, Levi’s, Topshop, Boss, Hilfiger und sogar Jil Sander Navy. Übrigens: Hauptsponsor war Mercedes Benz, im Messe-Klassement der Beratungsfirma Interbrand die wertvollste deutsche Top-Marke. Gerade die  Autohersteller schließen sich neuerdings hippen Events an, um mehr Exklusivität zu genießen. Auch das ist ein Trend, der die Messebranche weiter verändert. Die Konvergenz - Unternehmen können auf sehr unterschiedlichen, auch branchenfremden Messen auftauchen und glaubwürdig erscheinen - lenkt den Blick auf den Wert einzelner Unternehmen für Messen und Ausstellungen. So entstehen neue Universalmessen. 

Die persönliche Begegnung von Menschen, die physische Produkterfahrung und der atmosphärische Rahmen behalten aber ihren hohen Stellenwert, quasi als Komplement zur digitalen Welt ein Erlebnis  mit sinnlicher Markenerfahrung. Hierin liegt die Stärke der deutschen Messen seit hunderten von Jahren. 

 

Stephanie Hochberg

Dr. Stephanie Hochberg ist promovierte Historikerin. Die Themen Bildung, Geschichte und Wirtschaft sind Schwerpunkt ihrer zahlreichen Veröffentlichungen.

 

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