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Entscheider-Interview

„Ich wollte eine Orchideenplantage managen“

Eigentlich plante Ingrid Hofmann eine Ausbildung in Südafrika. Aber sie blieb in Deutschland, gründete eine Zeitarbeitsfirma und ist bis heute alleinige Gesellschafterin

Anne Klesse01.04.2017

In ihrem Nürnberger Büro hängt ein Foto der Wall Street – weil es früher einmal zu ihrer Auffassung von ­Erfolg passte, sagt Ingrid Hofmann. „Die Realität war dann leider eine andere.“ Ihr Lachen wirkt ansteckend. Als sie kurz nach dem Börsencrash 2008 zum ersten Mal durch Manhattan spazierte, habe sie statt Glanz und Erfolg nur Absperrungen und Demonstrationen gesehen – dazu präsentierte sich das herbstliche New York ungemütlich kalt. „Ich habe mir eine dicke Mütze und Handschuhe gekauft und dachte: An der Wall Street muss man sich im wahrsten Sinne des Wortes warm anziehen!“ Das Foto in ihrem Büro blieb trotzdem.
Auf einem anderen ist die Nürnberger Gedenkstätte „Straße der Menschenrechte“ abgebildet. In Regalen dazwischen stapeln sich Kuscheltiere und Karten, Geschenke von Mitarbeitern, die sie stets aufbewahrt. Im Flur reihen sich Urkunden und Pokale aneinander – und der Bundesverdienstorden, mit dem Ingrid Hofmann 2007 vom Bundespräsidenten als Gründerpersönlichkeit, die unternehmerischen Mut mit gesellschaftlicher Verantwortung verbinde, gewürdigt wurde.

Frau Hofmann, was bedeuten Ihnen Ihre vielen Auszeichnungen?
Sehr viel, weil ich es als Anerkennung meiner Arbeit und aller meiner Mitarbeiter ansehe. Ich empfinde es als diskriminierend, wenn man unsere Zeitarbeitnehmer als Mitarbeiter zweiter Klasse betitelt. Sie leisten ihren Beitrag in dieser Gesellschaft wie jeder andere auch. Und das bitte ich anzuerkennen.

Mit 31 Jahren haben Sie Ihre Zeitarbeitsfirma gegründet, damals als eine Pionierin der Branche. Wie kam es dazu?
Ich habe mich nicht selbstständig gemacht, weil ich es unbedingt wollte, ­sondern weil ich keine Alternative sah. Ich war damals in einer deutschen Niederlassung eines Schweizer Zeitarbeitsunternehmens angestellt, in dem es von einem bestimmten Zeitpunkt an keine Perspektive mehr für mich gab. Ich hatte damals den Eindruck, dass es nicht nur für mich, sondern generell für Frauen kein Weiterkommen gab. Sie müssen sich vorstellen: Frauen hatten zu dieser Zeit in der Schweiz noch nicht einmal in allen Kantonen ein Wahlrecht. Um mich weiterzuentwickeln, war es das Beste, ein Unternehmen zu gründen.
Ich begann mit einer reinen Frauenmannschaft, bestehend aus 24 Zeitarbeitsmitarbeiterinnen und einer internen Kraft. Anfangs überließ ich nur kaufmännisches Personal. Schritt für Schritt kamen die Bereiche Metall, Elektro und Automobile hinzu, sodass heute Fach­arbeiter und Hilfskräfte, aber auch ­sogenannte High Potentials, IT-Personal, Ingenieure bis hin zu Führungskräften an die Kundenbetriebe überlassen ­werden.

Ihr Unternehmen wächst rasant, ­mittlerweile beschäftigen Sie weltweit 23.800 Zeitarbeiter, der Umsatz wuchs allein zwischen 2012 und 2015 um 35 Prozent auf 768 Millionen Euro, Sie haben 89 Niederlassungen in Deutschland, Tochterunternehmen in den USA, Österreich, der Schweiz und Tschechien. Es gibt aber immer wieder Forderungen, Leiharbeit zu ­begrenzen, da sie unsozial sei. Was entgegnen Sie?
Der Anteil der Zeitarbeitnehmer an den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist mit 2,9 Prozent nach wie vor gering. Außerdem wird stets übersehen, aus ­welcher Situation heraus die Menschen in der Zeitarbeit beginnen. 68 Prozent von ihnen waren zuvor arbeitslos. Es ist für sie eine Chance, in den Arbeitsmarkt zurückzukommen. Personen ohne Berufs- oder sogar ohne Schulabschluss sind ­anteilig deutlich höher vertreten als bei den Beschäftigten insgesamt. Jeder vierte Zeitarbeitnehmer hat eine ausländische Staatsbürgerschaft. Gerade der Zeitarbeit gelingt es, diese Menschen zu integrieren, was im Hinblick auf unsere Flüchtlingsthematik ganz besonders wichtig ist. Und auch bei der Bezahlung muss sich unsere Branche nicht verstecken: Fast 100 Prozent der Zeitarbeitnehmer arbeiten auf der Grundlage eines für die Branche gültigen Tarifvertrags, basierend auf einer 35-Stunden-Woche.

Demnach ist das im April in Kraft ­tretende sogenannte Arbeitsüberlassungsgesetz, nach dem Leiharbeiter ähnliche Rahmenbedingungen wie die Stammbelegschaft erhalten sollten, gar nicht nötig?
Die Änderung bedeutet vor allem zusätzliche Bürokratie und Kosten. Ob sie dem Zeitarbeitnehmer zusätzlichen Nutzen bringt, ist fraglich. Inwieweit Equal Pay beispielsweise greifen wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab, unter anderem von der Arbeitsleistung der Zeitarbeitnehmer, für die sich der Druck nun erhöhen wird. Außerdem gelten bereits seit November 2012 für unterschiedliche Branchen Branchenzuschlagstarifverträge. Demnach haben Zeitarbeitnehmer nach einer bestimmten Einsatzdauer beim gleichen Unternehmen Anspruch auf Zahlung eines Zuschlags zum Tarifentgelt. Je nach Branche können sich Aufschläge von bis zu 50 Prozent auf den Tariflohn ergeben und damit eine Annäherung an den vergleichbaren Lohn bis auf 90 Prozent. Davon profitieren in meinem Unternehmen bereits 67 Prozent der Mitarbeiter.

Sie sind unter anderem Mitglied im Verwaltungsrat der Bundesagentur für Arbeit, im Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände – in vielen Gremien als einzige Frau unter Männern …
Das stimmt. Frauen sind in vielen Führungsetagen noch immer unterrepräsentiert. Aber es hat sich schon viel verändert, ich glaube, Deutschland ist da auf einem guten Weg. Als junge Gründerin habe ich erlebt, dass die Bank eine Bürgschaft meines Mannes für Kredite verlangte. Da hab’ ich gesagt: Das geht ja gar nicht, gehört die Firma nun mir oder ihm? Mit einem gesunden Selbstbewusstsein bin ich immer gut gefahren und weitergekommen.