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Interview

Magazin-Macher mit Hang zur Extravanganz

Interview - Magazin-Macher mit Hang zur Extravanganz
Christian Rainer, "Profil"-Chefredakteur mit eigenem Stil
© Stefanie Starz / www.starz.at

Die Welt blickt nach der Wahl auf Österreich. Als Chefredakteur des Nachrichtenmagazins Profil kennt Christian Rainer die Befindlichkeiten seines Landes

Anne Klesse01.12.2017

Von seinem Schreibtisch aus kann er zwar nicht die Berge, aber immerhin den Stephansdom sehen, fünf Gehminuten vom Mediatower der Verlagsgruppe News entfernt. Wobei der Schreibtisch hier kein klassisches Büromöbel, sondern ein runder Esstisch aus den 60er Jahren ist. "Original", wie Christian Rainer anmerkt. Er mag das "Midcentury"-Design. Gerade hat er auf Ebay eine Sitzecke für sein Elternhaus im Salzkammergut ersteigert, mit der er die Biedermeiereinrichtung aufpeppen will. In dem kleinen Büro im zweiten Wiener Bezirk des Hobby-Bergsteigers stehen außerdem ein kugelförmiger "Ball Chair", Fotos seiner bald 15-jährigen Zwillingstöchter, ein Elektro-Roller („das ideale Fortbewegungsmittel, leider kaputt“) und eine pinke Lavalampe. Die Einrichtung spiegelt die Extravaganz desjenigen wider, der hier arbeitet: Christian Rainer, Chefredakteur und Herausgeber de österreichischen Nachrichtenmagazins Profil, gilt als einer der einflussreichsten Journalisten seines Landes und Kenner der hiesigen Politszene. Gleichzeitig ist der 55-Jährige, der gern bunte Kniestrümpfe und auffällige Sakkos trägt, regelmäßiger Gast auf den Roten Teppichen der Stadt und als eigene Marke selbst Objekt der Berichterstattung des Wiener Who’s Who.


Christian Rainer, RC Wien-Ring, ist Chefredakteur und Herausgeber des österreichischen Nachrichtenmagazins Profil (Druckauflage rund 65.000). Der Jurist ist mit bald 20 Jahren in dieser Position einer der dienst­ältesten Zeitungsmacher des deutschsprachigen Raumes.
 
profil.at


Am Tag nach der 26. Nationalratswahl in Österreich titelte Ihr Magazin "Der Rechtsruck“. Inwiefern hat der Sommer 2017 das Land verändert?
Österreich ist ein sehr konservativ-bürgerliches Land. Im Endeffekt gab es hier immer eine rechte Mehrheit. Und nun werden wir eine konservative Regierung mit extrem rechter Einsprenkelung haben. Wobei "Einsprenkelung" eigentlich eine Untertreibung ist, da die FPÖ bei dieser Wahl ja nur knapp verpasst hat, zweitstärkste Partei zu werden. Diese Entwicklung begann 1986, als Jörg Haider die FPÖ übernahm. Die Deutschen schauen, seit die AfD bei der letzten Bundestagswahl ein zweistelliges Ergebnis hatte, nicht mehr spöttisch oder verächtlich nach Österreich, sondern eher ängstlich-neugierig. Wir werden nach Rezepten gefragt, wie man mit einer rechtsextremen Partei umgehen soll. Doch das gibt es nicht. In Österreich wurde alles versucht – von ausgrenzen bis umarmen. Nichts davon hat dem Trend entgegengewirkt. Offensichtlich hat ein Drittel der Österreicher kein Problem damit, eine Partei zu wählen, deren Proponenten Hitler oder dessen „Beschäftigungspolitik“ schon ganz okay fanden. Das wäre in Deutschland ein echtes No-Go. 40 Prozent der FPÖ-Abgeordneten sind schlagende Burschenschafter, die einiges gut finden an der Zeit zwischen 1938 und 1945. Die werden nun im österreichischen Parlament sitzen. Das ist erschreckend für die anderen zwei Drittel.

Der österreichische Schriftsteller Karl Kraus bezeichnete seine Heimat
mal als "Versuchsstation des Weltuntergangs". Hat er recht behalten?
Populisten sind gerade überall stark, auch in Frankreich oder Osteuropa. Ich sehe eine deutliche Veränderung in vielen Teilen der Welt. Vor einiger Zeit bin ich mit dem Zug von San Francisco nach New York gefahren. Eine Minute nach San Francisco ist man im Trump-Country, und eine Minute vor New York verlässt man es wieder. Wir Eliten, auch wir Rotarier-Eliten und wir Journalisten-Eliten, übersehen manchmal, welche Gedanken, Ängste, Emotionen die Menschen da draußen, außerhalb unserer Blase, außerhalb der Großstädte haben. Nur weil wir argumentieren, man brauche keine Angst vor etwas zu haben, bedeutet das nicht, dass Menschen tatsächlich keine Angst haben.


Wird Sebastian Kurz nun erst Österreich und dann ganz Europa auf den Kopf stellen?
Bei Österreich wird er es zumindest versuchen. Seit 1945 wurde unser Land die meiste Zeit von einer Großen Koalition christlich-sozialdemokratisch regiert. Über Kopf halten und ein bisschen durchschütteln könnte dem Land gut tun. Spannend finde ich, dass mich Diplomaten immer wieder fragen: Wird sich Sebastian Kurz im Schatten von
Angela Merkel sonnen – oder einen eigenen Kurs gehen?

Und Ihre Antwort?
Er wird einen sehr eigenen Kurs gehen. Die Befürchtung Deutschlands ist, dass er sich den Visegrád-Staaten stärker annähert, sich nicht nur als Brückenbauer in der Tradition Österreichs versteht, sondern Positionen Ungarns oder Polens übernimmt. Was würde das für den Rechtsstaat bedeuten, werden die Freiheiten von Kunst, Meinung, Journalismus gewahrt bleiben? Wird, wenn wir einen FPÖ-Innenminister bekommen, die Polizei unterwandert werden, wie wir es schon einmal hatten? Österreich ist nicht die Versuchsstation des Weltuntergangs, aber eine Art negativ konnotiertes gallisches Dorf, dessen Innenpolitik Auswirkungen auf ganz Europa hat.

Trotz geografischer Nähe und historischer Verbundenheit gibt es in Deutschland das Gefühl, das Nachbarland nur wenig zu kennen. Und Österreich beschäftigt sich stark mit sich selbst. Wie erklären Sie sich das?
Zwei Unterschiede sehe ich: Österreich hatte nie ein Großbürgertum, das mit seinen moralischen Maßstäben die Gesellschaft prägte. Das jüdische Großbürgertum wurde während der Nazi-Zeit vernichtet. In Deutschland jedoch ist die Patrizier-Elite sehr stark. Nach 1945 ist die eigene Geschichte aufgearbeitet worden. Das war in Österreich nicht so: Hier herrscht bei vielen noch die Vorstellung, wir wären das erste Opfer Hitlers gewesen. Erst Mitte der 80er Jahre fing die Aufarbeitung mit Kurt Waldheim an. Bereits unter Bruno Kreisky saßen ehemalige SS-Leute in der Regierung, aber das ging noch durch.

Die sogenannte Waldheim-Affäre war der Grund, warum Sie in den Journalismus gegangen sind …
Richtig, das Thema hat mich bewegt, ich wollte bei der Aufarbeitung aktiv dabei sein. Alternativ hätte ich Schauspieler werden wollen. Bei uns zu Hause lagen die Lokalzeitung und der Rotarier. Mein Vater war bis zu seinem Tod vor zwei Jahren ein glühender Rotarier, auch Governor des westlichen Distrikts. Deshalb war mir Rotary immer nah. Und der Rotarier die erste Zeitschrift, die ich las.

Nun sind Sie seit mittlerweile 17 Jahren selbst Mitglied bei Rotary …
Ende der Siebziger war ich Rotary-Austauschschüler in den USA und habe dort bei Rotariern und deren Familien gewohnt. Die Fähnchen der Clubs, bei denen ich Diavorträge über Österreich gehalten habe, stehen immer noch bei mir zu Hause. Es lag also nah, irgendwann selbst Mitglied zu werden.

In Ihrem Rotary Club sind auch Christian Kern (SPÖ) und der ehemalige Vizekanzler Josef Pröll (ÖVP). Geht es bei den Clubtreffen heiß her?
Man kennt sich gut genug, um zu wissen, was der andere politisch denkt. Wir diskutieren gesellschaftspolitisch, philosophieren über Weltbilder. Meine Präsenzen sind leider nicht wirklich überbordend, da wir am selben Tag immer Redaktionsschluss haben.

Wie entscheiden Sie, was Titelthema wird?
Titelgeschichten sind immer das Ergebnis von gruppendynamischen Prozessen in der Redaktion, die von Intellektualität getragen und von Aktualität befeuert werden.

Welche Schlagzeilen wird 2018 bringen?
Ich wünsche mir, dass es das Jahr des Klimawandels wird. Mit Heinz-Christian Strache werden wir einen Vizekanzler haben, der bezweifelt, dass es den menschengemachten Klimawandel überhaupt gibt. Ich fürchte, dass unsere Enkel uns vorwerfen werden, dass wir Genozid betrieben haben, weil wir den Klimawandel nicht ernst genommen haben. Außerdem hoffe ich natürlich, dass Österreich viele Medaillen bei den Olympischen Winterspielen gewinnen und damit unser Selbstbewusstsein gegenüber Deutschland aufpäppeln wird, nachdem wir uns schon nicht bei der Fußball-WM qualifiziert haben.

Das Gespräch führte Anne Klesse.