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Peters Lebensart

Jenseits des Germknödels

Peters Lebensart - Jenseits des Germknödels
© Jessine Hein/Illustratoren

Die beliebten Sattmacher der Alpen sind unverzichtbar, aber inzwischen hat sich neben Würstel-Wahn und Kaiserschmarrn auch eine neue regionale Küche etabliert.

Peter Peter01.06.2022

Gastrosophen können bissig sein. Lothar Kolmer, mit Ironie gesegneter Gründer unseres Instituts in Salzburg, definierte einmal Alpenküche als „egal was, Hauptsache mit heißer Vanillesauce“. Ein Seitenhieb gegen Mikrowellen-Germknödel und austauschbare Sattmacher auf Skihütten. Ganz unschuldig an der Entwicklung war auch der damals noch deutsch-österreichische Alpenverein nicht. Vor 99 Jahren forderte er in den Tölzer Richtlinien: „Die Verpflegung auf den bewirtschafteten Hütten ist auf das einfachste Maß zurückzuführen.“ Konkret bedeutete das meist Suppe mit Würstel, Käsebrot und Gurke – passt für die Ostseejugendherberge genauso wie für die Bergsteigerhütte.

Provozierend gefragt: Geht’s auch anders? Ist echte regionale Alpenküche möglich in einer Region, die vor dem Tourismusboom ihre Bevölkerung kaum ernähren konnte? Die Antwort: nicht für alle Pauschaltouristen, aber für die, die es interessiert, immer mehr. Denn die Gebirgstäler mit ihrer kleinteiligen Gastronomie sind ein idealer Platz für bäuerliche Direktvermarktung. Sennhütten, die eigenen Rohmilchkäse zu Holzofenbrot und hausgebranntem Enzian aufschneiden, Wirtshäuser, die selbst gejagtes Wild und selbst gepflückte Preiselbeeren verarbeiten, können günstig kalkulieren. Die Szene hat auf diesen Trend zu authentischer Alpenkost reagiert. Seit 2020 gibt der renommierte Gault & Millau einen kulinarischen „Almenguide Tirol“ heraus, der verrät, wo es für Wanderer die besten Moosbeernocken, Bauernkrapfen und Graukasknödel gibt.

Auch die Sterneküche hat die Alpen entdeckt. Inspiriert vom gehypten Noma in Kopenhagen, das „wilde“ Produkte aus den Tundren Skandinaviens verarbeitet, hat eine raffinierte „cuisine alpine“ Oberwasser bekommen. Schließlich ist das Gebirge ein Reservoir zeitgeistiger Delikatessen, die aus gesunder Umwelt und Bergluft stammen. Fleisch weidender oder wilder Tiere, gesammelte Beeren und Heumilch gleichen den relativen Mangel an frischem Gemüse und Obst aus. Uralte Techniken des Lufttrocknens und Fermentierens sorgen für unverwechselbare Geschmacksvielfalt.

Die Protagonisten dieser neuen Alpenküche, die das Seltene, Einheimische, das Kilometer-Zero-Ideal hervorheben, sitzen in verschiedenen Ländern. Der Savoyer Marc Veyrat, der als Hüterbub begann und es zu drei Michelin-Sternen brachte, jagt Pariser Food-Journalisten gern im Morgengrauen auf Hochgebirgskräuterwanderungen. Norbert Niederkofler aus Südtirol macht in den Dolomiten vor, wie man seine Küche ausschließlich auf Bergbauernprodukte umstellt und gerade deswegen souverän seine drei Sterne verteidigt: „Cook the mountain“ als vorgelebter Einsatz zum Erhalt einer bäuerlichen Kulturlandschaft! Als Speisekartentexter profiliert sich Andreas Döllerer in Golling im Salzburger Land, der die Endetappe einer kulinarischen Alpenüberquerung mit Latschenkiefereis krönt.

Alpenstaat ist auch Slowenien, wo Ana Roš, aktuell als beste Köchin der Welt gehandelt, eine duftige Küche aus alpinen Produkten entwickelt: Knusperhaut von der Gebirgsbachforelle, Heukartoffeln oder ein Buchweizentennisball, gefüllt mit Schafsbrimsen und Steinpilzen. Wer diese Rundtour erst einmal verschieben muss, der kann mit einem meiner kulinarischen Lieblingsbücher auf virtuelle Reise gehen. Das Schweizer Team Dominik Flammer/Sylvan Müller hat mit Das kulinarische Erbe der Alpen einen Prachtband vorgelegt, der mit liebevoller Recherche und genialen Schwarz-Weiß-Fotos zeigt, dass Alpenküche weit mehr sein kann als ein Plättli Bündner Fleisch, Tiroler Gröstl oder Germknödel. 

Peter Peter

Peter Peter ist deutscher Journalist und Autor für die Themen Kulinarik und Reise. Er lehrt Gastrosophie an der Universität Salzburg und ist Mitglied der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Außerdem schreibt er als Restaurantkritiker der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ und ist Autor einiger ausgezeichneter Kulturgeschichten der europäischen Küche. Im Rotary Magazin thematisiert er jeden Monat Trends rund um gutes Essen und feine Küche.

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