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Entscheider

Manager mit Kunstsinn

Entscheider - Manager mit Kunstsinn
Christian Kircher leitet den wohl größten Theaterbetrieb der Welt. Hier heißt er unsere Fotografin im Burgtheater willkommen. © Regina Hügli

Jeden Abend Programm, zehn Monate im Jahr: Christian Kircher, Geschäftsführer der Wiener Bundestheater-Holding, über Pflicht, Kür und Rotary

01.01.2024

Christian Kircher (59) steht dem größten Theaterbetrieb der Welt vor. Um Korrektheit bemüht, fügt er an, dass dieser Superlativ nicht bewiesen ist, sich aber noch keiner gemeldet hat, der größer wäre. Es handelt sich um die Österreichische Bundestheater-Holding, in der das Burgtheater, die Wiener Staatsoper, die Volksoper Wien und Art for Art, die gemeinsamen Werkstätten, verwaltungstechnisch verbunden sind. Kircher ist nicht nur ein Mann der Zahlen. Wenn er an die Zukunft von Oper und Theater denkt, dann mit der Überzeugung, dass Kunst eine unersetzbare Kulturleistung des Menschen ist, kein Luxus. Wie sich diese Kulturleistung erhalten lässt, angesichts von Inflation, Energiesparen und fehlendem Nachwuchs im technischen Bereich? – Viele Fragen an den Mann, der einen der spannendsten Posten im Kulturbetrieb Österreichs hat und überdies bekennender und aktiver Rotarier ist.

Ich beneide Sie um den großen Spielraum zum Gestalten, den Sie in Ihrer Position haben, aber ich beneide Sie nicht um die Verantwortung.

Genauso geht’s mir auch.

Wie viele Mitarbeiter haben Sie?

Direkt in der Holding sind es etwa 45, im gesamten Unternehmen 2400.

Als Generalintendant, wie es sie in manchen Städten gibt, die Oper, Schauspielhaus, Kindertheater, Puppentheater vorstehen, kann ich Sie nicht ansprechen?

Nein, ich habe keine Zuständigkeit für Fragen künstlerischen Inhalts. Was nicht heißt, dass ich kein großes Herz für die Kunst besitze. Das habe ich gewissermaßen in mein Amt mitgebracht. In Wien gehörte ich 30 Jahre dem Arnold Schoenberg Chor an, dem der große Dirigent Nikolaus Harnoncourt verbunden war.

Ich habe gelesen, dass Sie im Jahr 2024 stolze 194,2 Millionen Euro an Zuschüssen aus dem Bundesetat erhalten werden. In meiner Wahrnehmung ging es geräuschlos über die Bühne. Keine lauten Verteilungskämpfe. Lässt diese Zahl Sie ein wenig lächeln?

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„Ich habe einmal über mich gelesen, ich sei ein Kaufmann mit Kunstsinn. Vielleicht trifft es das“, sagt Christian Kircher © Regina Hügli

Mit dem Geld, das man bekommt, ist man nie zufrieden. Trotz der für Außenstehende hohen Summe wird jeder Euro benötigt. Als wir dachten, mit Corona die größte Herausforderung gemeistert zu haben, kam der Ukraine-Krieg. Mit dem Krieg kam die Inflation, die die Personalkosten belastet, und dann kam die exorbitante Erhöhung der Energiekosten. Die Zuschüsse setzen uns nicht frei von Eigenleistungen. Die Wiener Staatsoper erreicht im europäischen Rahmen mit bis zu 30 Prozent einen Spitzenwert. Etwa ein Drittel des Geldes, das wir für den Betrieb benötigen, erwirtschaften wir selbst. Die Zahl ist hart erarbeitet. Das bringt mir auch ein Lächeln ins Gesicht.

Mit etwas Einblick in Förderpraktiken bei Stadttheatern in Deutschland kann ich nur sagen, dass Ihre Situation bei deutschen Bühnen blanken Neid hervorrufen dürfte. Was wird dafür von Ihnen erwartet?

Für die Wiener und ihre Gäste erstklassige Qualität in Oper und Theater. Wir stehen im Schaufenster, nicht allein von Österreich, sondern von Europa und der halben Welt. Wir sind per Gesetz zu täglichem Vorstellungsbetrieb zwischen dem 1. September und 30. Juni verpflichtet, mit allabendlich wechselndem Repertoire. Das bedeutet eine unglaubliche Belastung für alle, insbesondere für die Bühnentechniker – ist aber eine Leistung, zu der uns das Gesetz verpflichtet.

Sie schließen mit den drei Bühnengesellschaften Ziel- und Leistungsvereinbarungen ab. Regeln sie auch das Repertoire?

Nicht inhaltlich, den Spielplan bestimmen die Direktoren und die Direktorin der drei Häuser autonom. Vom Gesetzgeber fixiert ist die Verpflichtung zur Pflege des zeitgenössischen Repertoires und der klassischen österreichischen und internationalen Theaterkunst. Ich habe die Vorgaben ein wenig den gewachsenen Profilen der drei Häuser angepasst.

Sie nehmen sich sehr konsequent aus der künstlerischen Einflussnahme heraus, haben Sie gesagt, deshalb frage ich nach Ihren Aufgabenbereichen. Nach dem Finanzdebakel vor Ihrem Amtsantritt – damals fehlten beim Burgtheater rund 20 Millionen Euro, Intendant und Verwaltungsdirektorin mussten gehen – dürften Aufsicht und Kontrolle wichtige Teile sein, richtig?

Es geht um Aufgaben, die in jedem Unternehmen anstehen. Sie haben recht, die Aufsicht über den Umgang mit den Finanzen steht sehr weit oben, aber auch Digitalisierung, Fragen der Personalentwicklung, Nachhaltigkeit und die Kontrolle ethisch-moralischer Regeln, das, was man heute Compliance nennt …

… und was angesichts von MeToo immer mehr an Bedeutung gewinnt. Burgtheater-Intendanten, aber zurückliegend auch eine Choreografin des Staatsopern-Balletts wurden in den Medien angegriffen. Sie hätten gegenüber Mitarbeitern nicht ausreichend Respekt und Achtung gezeigt. Betroffene haben sich gegenüber den Medien geoutet und beim künstlerischen Arbeiten eine Atmosphäre der Angst beschrieben. Wie reagieren Sie darauf?

Ich nehme das sehr ernst. Sage aber auch, dass künstlerische Arbeit immer in einem Spannungsverhältnis unter den Beteiligten stattfindet. Natürlich gilt es, Hierarchien einzuhalten, natürlich ist unser Geschäft die Emotion. Deshalb ist Vorsicht geboten, damit Respekt und Würde in jeder Situation gewahrt bleiben. Compliance war vor noch nicht allzu langer Zeit im künstlerischen Bereich ein höchst explosives Thema. Heute ist es selbstverständlich, was nicht heißt, dass es selbstverständlich konfliktfrei ist.

Sie haben Ihre Arbeit als Geschäftsführer der Holding begonnen, um die Kontrollmechanismen bei den Finanzen zu verbessern, dann kam 2020 Corona und schuf zweieinhalb Jahre eine Ausnahmesituation. Jetzt sind es die Folgen des Kriegs in der Ukraine und die Inflation. Routine entsteht dabei nicht.

Einen Routinebetrieb hatten wir in den letzten Jahren noch keinen Tag. Wir erleben jede Aufgabe als Herausforderung, was – wenn man sie meistert – ein gutes Gefühl verschafft.

Weil wir noch einmal Corona angesprochen haben: Sind die Rückgänge bei den Besucherzahlen bereits ausgeglichen?

Von Rückgängen und einem nachwirkend verunsicherten Publikum haben die Medien länger gesprochen, als wir sie in den Häusern praktisch erlebt haben. Die Besucherzahlen sind bis auf zwei, drei Prozent auf Vor-Corona-Niveau.

Haben sich – nicht durch Corona, sondern generell – die Interessen des Publikums verändert?

Mir ist aufgefallen, dass die Musik, das Musiktheater, in unserer Zeit von Krieg, Krisen und Katastrophen stärker angenommen wird. Hier erlebt sich das Musiktheater plötzlich bevorzugt, ohne etwas dafürzukönnen. Die Musik tröstet die beschädigte Seele. Die Sehnsucht nach Harmonie ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen.

Lassen Sie uns den Worst Case denken. Was wäre, wenn Kunst und Kultur zum Luxus erklärt und die staatlichen Zuschüsse angesichts eines allgemein schrumpfenden Wachstums nicht mehr so üppig fließen würden? Mit welchen Argumenten verteidigen Sie dann Ihre drei Bühnen?

Ich verteidige nicht nur meine Bühnen, sondern das, was Kunst überhaupt vermag und was ich bei Auftritten mit dem Arnold Schoenberg Chor persönlich erlebt habe. Manchmal ist man nach einer Aufführung ein veränderter Mensch. Weil er Schönheit gespürt hat, kann er wieder Schönheit sehen. Weil er Töne gehört hat, die es im Alltag nicht gibt, kann er wieder hören. Ich kann mir eine Welt ohne Kunst nicht vorstellen. – Es gibt aber gegenüber der öffentlichen Hand noch ein ganz handfestes Argument. Jeder in Kultur und Kunst investierte Euro schafft durch die sogenannte Umwegrentabilität drei bis fünf Euro. Ich habe einmal über mich gelesen, ich sei ein Kaufmann mit Kunstsinn. Vielleicht trifft es das.

Lassen Sie mich am Ende noch nach Ihrem Selbstverständnis als Rotarier fragen. Können Sie es mir beschreiben?

Ich komme aus einer Rotarierfamilie. Mein Vater war bereits aktiv, und mein Bruder ist es auch. Ich erinnere mich, dass wir immer ein Gastkind in unserer Familie hatten. Das kam aus Amerika, Australien oder der Türkei. Für mich war es beeindruckend, dass unser Club in der Stadtgesellschaft von Spittal, wo ich herkomme, sichtbar war.

Wie setzen Sie Ihr Engagement heute fort?

Ich habe das Glück, dass ich in einem Club Mitglied bin, der einen hohen Frauenanteil besitzt. Mit unseren Sammlungen unterstützen wir Wiener Frauenhäuser, aber auch Gewaltprävention bei jungen Burschen. Wir veranstalten einmal im Jahr einen Abend, aus dessen Eintrittserlösen eine relativ hohe Spende entsteht. Oft wird den Clubs in Wien vorgeworfen, dass sie aus der Elite kommen. Die Plattform unseres Clubs besteht aus einem Netzwerk von Mitgliedern ganz unterschiedlicher Herkunft.

Das Gespräch führte Michael Hametner.


Zur Person

Christian Kircher, RC Wien-Stephansplatz, studierte Betriebswirtschaft, arbeitete unter anderem in der Geschäftsleitung von Gilette Deutschland, wechselte 2005 in den Kulturbereich als Finanzdirektor des Wien Museums und ist seit April 2016 Geschäftsführer der Bundestheater-Holding.